Die Jungens von Burg Schreckenstein
Frühstücks viel zu spät zum Unterricht gekommen, und natürlich hatte Mauersäge das Fehlen der Rüstung bemerkt, als er seinem Gast die Ahnengalerie zeigte. Die Folge davon war eine Schulversammlung im Wohnzimmer. Der Rex ging ohne Umschweife auf sein Ziel los:
„Wer hat aus dem Ahnensaal eine Rüstung genommen oder weiß etwas davon?“
Wir schauten zu Dampfwalze, der ganz vorne rechts stand. Durch diese allgemeine Kopfwendung wurde auch der Rex auf ihn aufmerksam. Dampfwalze machte jedoch keinerlei Anstalten, sich zu melden. Er schien zu überlegen, was er tun solle, und das dauerte bei ihm ja bekanntlich lange, auch wenn die Muskeln gerade nicht angespannt waren. Stephan erkannte die einmalige Gelegenheit, seinen Widersacher öffentlich zu blamieren, und meldete sich mit einem lauten und vernehmlichen „Hier!“
Alle schauten ihn erstaunt an.
„Warum hast du sie genommen?“ fragte der Rex weiter.
„Ich habe sie nicht genommen!“ antwortete Stephan ruhig.
„Sondern?“
„Ich habe sie nur getragen!“
Zum erstenmal war der Rex leicht verwirrt. Die Blickwendung zu Dampfwalze hatte er bemerkt. Und nun meldete sich Stephan und gab klare, höfliche Antworten? Das mußte mit der Spannung zwischen den beiden Jungen Zusammenhängen, die ihm ja bekannt war. Also begann er die Sache mit geschickten Fragen einzukreisen:
„Du hast sie nicht genommen, aber getragen?“
„Ja!“
„Warum meldest du dich dann, wo ich doch fragte, wer sie genommen hat?“ zog der Rex die Schlinge enger.
Stephans Verstand arbeitete messerscharf. Er war wild entschlossen, die volle Wahrheit zu sagen, ohne jedoch jemand zu belasten. Endlich konnte er der ganzen Schule beweisen, daß er sich den Geist der Ritter zu eigen gemacht hatte! Ruhig und klar sagte er:
„Sie hatten auch gefragt, wer etwas davon weiß. Und da ich sie getragen habe, weiß ich etwas davon!“
Einen Moment lang herrschte Schweigen. Jetzt mußte auch der Dümmste gemerkt haben, daß Stephan niemand verraten wollte. Je klarer seine Haltung zutage trat, desto unerträglicher wurde die Lage für Dampfwalze. Und ausgerechnet der hatte ihm Mangel an ritterlicher Gesinnung vorgeworfen!
Der Rex schaute uns prüfend an; nichts schien ihm zu entgehen:
„Wer hat also die Rüstung genommen?“
Wieder trat eine Pause ein. Wenn Dampfwalze noch den Rest seiner Ritterehre retten wollte, konnte er nicht länger schweigen.
„Ich“, gestand er trotzig.
Der Rex zeigte sich in keiner Weise überrascht:
„Und warum?“
Dampfwalze wand sich wie ein Freistilringer, aber es half ihm nicht. Jetzt mußte er Farbe bekennen.
„Wir wollten Stephan einen Streich spielen!“ quetschte er mühsam hervor.
„Wer ist wir?“
Dampfwalze sah sich schweigend um, und seine Helfershelfer hoben die Hand.
„Soso“, sagte da der Rex, sichtlich böse, „ich finde es sehr unritterlich, daß du dich nicht gleich gemeldet und auch noch deine Kameraden mit hineingezogen hast!“ Ein Raunen ging durch den Raum, während Dampfwalze dreinschaute, als müsse er umgehend in den Erdboden verschwinden.
„Warum wolltet ihr Stephan überhaupt einen Streich spielen?“ forschte er unerbittlich weiter.
„Weil... weil... weil er sein Freßpaket allein aufgegessen hat!“ keuchte Dampfwalze mit hochrotem Kopf.
„Das ist nicht wahr“, ließ sich da Ottokar aus der hintersten Ecke vernehmen, und alle Köpfe flogen herum: „Wir haben gestern abend toll gespachtelt, die ganze Stube!“
Die Wirkung dieser Worte entging Stephan nicht.
„Schweinerei!“ rief Mücke so laut, daß der Rex ihn verwarnen mußte, ehe er fortfuhr:
„Die Geschichte ist nicht nur witzlos, sie hat auch den Falschen getroffen. Ich sehe mich daher gezwungen, zu strafen. Dampfwalze und seine Helfer dürfen bis zu den Ferien nicht mehr am Sport teilnehmen. — Die Schulversammlung ist geschlossen. Stephan, komm bitte auf mein Zimmer!“ Damit verließ er den Saal. —
Beim Hinausgehen war die Schule in zwei Lager geteilt. Die einen scharten sich um Dampfwalze, die anderen, wenn auch noch zögernd, um Stephan.
„Haste prima gemacht!“ sagte Mücke und schlug ihm anerkennend auf die Schulter. Klaus und Dieter schlossen sich an. Ottokar arbeitete sich durch die Menge und gab ihm stumm die Hand, wie das in solchen Fällen unter Freunden Brauch ist.
„Das war ein Ding!“ seufzte Stephan, als er anschließend zum Rex ging. Er hatte sich anständig verhalten, die Wahrheit gesagt, aber nur soviel, als es ihn anging.
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