Die Jungfernbraut
machen. Sie möchten auch einige unserer Leute kennenlernen. Hast du Lust, uns zu begleiten?«
Sie betrachtete ihn forschend. Er schloß sie nicht mehr aus. Hatte er endlich begriffen, daß sie nicht die Absicht hatte, seine Schatulle zu stehlen? Nein, wahrscheinlich nicht. Er wollte ihr nur ein Zugehörigkeitsgefühl vermitteln, weil es nun einmal ihr Geld war, wie er betont hatte. Er versuchte, nett zu ihr zu sein, aber sie haßte seine Freundlichkeit, weil Freundlichkeit viel zu nichtssagend war.
»Nein, diesmal nicht.« Sie warf ihre Serviette auf den Teller und stand auf. »Ich möchte mich ein wenig den Kindern widmen. Bei Philip muß ich mich für meine Notlüge entschuldigen, und nachdem er dein Sohn ist, wird er bestimmt verlangen, daß ich vor ihm niederknie, bevor er mir huldvoll verzeiht.«
Colin lachte schallend.
»Außerdem werden meine Schwägerinnen bestimmt wissen wollen, was aus MacPherson geworden ist.«
»Ich habe ihnen beim Frühstück schon alles erzählt, und Alex hat mich heftig kritisiert, bis sie plötzlich grün im Gesicht wurde, ihren Magen umklammerte und aus dem Zimmer stürzte. Douglas rannte ihr mit dem Nachttopf nach, den Mrs. Seton ihm gegeben hatte. Ryder und Sophie lachten und heuchelten Interesse an meinen landwirtschaftlichen Projekten, hatten im Grunde aber nur Augen füreinander. Wenn deine Brüder nicht gerade versuchen, mich umzubringen, sind sie wirklich sehr liebenswert.«
Sinjun grinste. Sie konnte sich die Szene nur allzu gut vorstellen. »Und wie haben Tante Arleth und Serena darauf reagiert? Schuldbewußt? Verärgert?«
»Tante Arleth hat kein Wort gesagt, und Serena wirkte völlig geistesabwesend. Dafür hatte Dahling tausend Fragen. Sie wollte wissen, warum du sie nicht mitgenommen hast, als es darum ging, MacPherson in Gewahrsam zu nehmen. Schließlich sei auch sie eine Frau. Und dann fragte sie Serena, warum ihr Bruder ein so böser Mann sei, worauf Serena erwiderte, daß er sein Engelsgesicht hasse und deshalb seine Teufelsseele kultiviere.«
»Offenbar müßte ich mich auch bei ihr entschuldigen. Bist du ganz sicher, daß Tante Arleth nicht schuldbewußt ausgesehen hat?«
»Ja, aber ich werde mich trotzdem unter vier Augen mit ihr unterhalten.«
»Ich habe immer noch Angst, Colin.«
Er stand auf, ging zu ihr hin und nahm sie in die Arme. »Niemand wird dir je wieder etwas zuleide tun«, beruhigte er sie. »Mein Gott, du hast mir einen Mordsschrecken eingejagt.«
Sie vergrub ihr Gesicht in seiner Halsgrube. »Gut«, murmelte sie. »Du warst manchmal ein schreckliches Ekel, und ein kleiner Dämpfer schadet dir gar nichts.«
Er lachte, zog sie noch fester an sich und fragte: »Wie fühlst du dich heute?«
»Viel besser. Nur ein bißchen schwach.«
»Von nun an wirst du dich fast jeden Morgen etwas matt fühlen. Das kommt von der Lust.«
Sie legte den Kopf zurück, um sich von ihm küssen zu lassen.
»Papa, es gefällt Sinjun bestimmt nicht, wenn du am Frühstückstisch mit ihr schmust.«
Colin seufzte, küßte sie leicht aufs Kinn und ließ sie widerwillig los, während er seinen Sohn betrachtete, der auf der Schwelle stand und die Hände in die Hüften stemmte — genau wie er selbst es gern tat.
»Was willst du, Philip? Joan wollte sich gerade zu dir begeben und dich um Verzeihung bitten. Sie ist sogar bereit, vor dir niederzuknien und für dich gebrannte Mandeln zuzubereiten, bis deine Zähne verfaulen. Und da du mein Sohn bist, rechnet sie mit endlosen Vorwürfen.«
Philip setzte eine strenge Miene auf, erklärte aber gleich darauf großmütig: »Schon gut, Sinjun, ich kenne dich, und ich bezweifle, daß du dich je ändern wirst.« Dann wandte er sich wieder seinem Vater zu. »Onkel Ryder hat mich gefragt, ob ich ihn, Tante Sophie und all seine Kinder besuchen wolle. Er sagt, zur Zeit seien es mehr als ein Dutzend, und ich würde mich bestimmt gut mit ihnen verstehen. Sie leben alle in Brandon House, direkt neben seinem eigenen Haus. Hast du gewußt, Papa, daß er Kinder aus allen möglichen schrecklichen Situationen rettet? Er wird ihr Vormund und kümmert sich um sie, und er liebt sie. Das hat er zwar nicht gesagt, aber ich habe es gespürt, und Onkel Douglas hat es mir bestätigt. Ich glaube, es ist ihm peinlich, wenn man ihn für einen guten Menschen hält. Onkel Ryder hat mir auch von seinem Schwager Jeremy erzählt, der in Eton ist und ein lahmes Bein hat, aber trotzdem großartig reiten und kämpfen kann. Er hat gesagt, wenn du damit
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