Die Jungfernbraut
wissen, und sie hielt es für unwahrscheinlich, daß er die Macht, die sie ihm durch ihre Liebeserklärung gegeben hatte, mißbrauchen würde.
Nur eines zählte: sie war Colins Frau. Gott hatte ihr diesen Mann geschenkt, und nun war er der wichtigste Mensch in ihrem Leben. Daran würde sich nie etwas ändern.
Trotzdem war sie nervös und etwas verlegen, als sie eine Dreiviertelstunde später das kleine Eßzimmer betrat und dort nur Colin vorfand. Er saß gemütlich am Kopfende des Tisches, eine Tasse Kaffee in der Hand, eine dampfende Schüssel Porridge vor sich. Ihre Brüder und ihre Schwägerinnen waren nicht da. Die Kinder, Tante Arleth und Serena auch nicht. Obwohl sich so viele Menschen unter ihrem Dach aufhielten, waren Colin und sie allein.
»Alle haben den Frühstückstisch schon vor einer halben Stunde verlassen. Ich dachte mir, daß dir das nur recht sein würde und habe auf dich gewartet.«
Schelmisch grinsend fuhr er fort: »Ich dachte, daß du vielleicht das Bedürfnis hättest, über deine Empfindungen von gestern abend zu sprechen. Natürlich ganz unter uns. Ich dachte, daß du vielleicht enttäuscht sein würdest, weil ich dich nur einmal zum Höhepunkt gebracht habe. Es tut mir sehr leid, daß du so schnell eingeschlafen bist, aber als Gentleman wollte ich dich nicht aufwecken, nur um dir ein weiteres Mal Lust zu bescheren. Schließlich bist du krank gewesen, und da wollte ich dich nicht überfordern.«
»Das war sehr nett von dir, Colin«, sagte sie, errötete aber heftig, als ihre Blicke sich trafen. Er führte eine ebenso kühne Sprache wie ihre Brüder. Sie reckte ihr Kinn, aber ihr wollte beim besten Willen keine schlagfertige Antwort einfallen. »Ich bin nicht enttäuscht, mein Trauter, aber es bereitet mir Sorgen, daß du mir nicht erlaubt hast, dir meinerseits eine Erleichterung zu verschaffen.«
»Erleichterung«, wiederholte er. »Welch triste Bezeichnung für rasendes Verlangen, für sexuelle Lust. Erleichterung! Das muß ich meinen Freunden erzählen. Mal sehen, was sie davon halten.«
»Nein, tu das bitte nicht. So etwas sollte zur Intimsphäre gehören. Also gut, ich nehme den Ausdruck >Erleichterung< zurück. Es tut mir leid, daß ich dir keine große sexuelle Lust beschert habe.«
»So ist's viel besser. Aber wie kommst du darauf, daß mir kein Genuß zuteil wurde? Ich habe dich beobachtet, als du deinen ersten Orgasmus hattest, Joan, und es war ein faszinierendes Erlebnis. Ich habe gespürt, wie du unter meinen Fingern gezittert hast, ich habe dich stöhnen gehört, und als du vor Lust geschrien hast, hätte ich am liebsten das gleiche getan.«
»Aber du hast es nicht getan.«
Er warf ihr einen unergründlichen Blick zu und fragte so nüchtern, als wären sie schon fünfzig Jahre verheiratet: »Möchtest du etwas Porridge?«
»Nein, danke, nur Toast.«
Er stand auf, um sie zu bedienen. »Bleib sitzen. Ich möchte, daß du schnell wieder zu Kräften kommst.«
Er schenkte ihr Kaffee ein und legte Toast auf ihren Teller. Dann hob er plötzlich ihr Kinn an und küßte sie, zuerst leidenschaftlich, dann sehr zart. Als er sich von ihr löste, waren ihre Augen leicht verschleiert, und sie atmete schwer.
»Philip hat mir gesagt, er würde dir verzeihen, daß du ihn belogen hast, wenn du ihn nett darum bittest«, berichtete Colin, während er wieder zu seinem Platz ging. »Er scheint dich sehr gut zu verstehen. Jedenfalls meinte er, daß du für mich durchs Feuer gehen würdest, und wenn du zu diesem Zweck einmal lügen müßtest, so sei das nicht weiter schlimm.«
Philip ist wirklich ein sehr kluger Junge, dachte sie, während sie wie hypnotisiert auf Colins Mund , starrte und auf ein zärtliches Wort von ihm wartete, vielleicht sogar auf ein Geständnis, daß ihre Liebeserklärung ihn sehr gerührt habe. Statt dessen warf er ihr ein gequältes Lächeln zu und befahl mit jener undurchschaubaren Miene: »Iß, Joan.«
Sie kaute unlustig an ihrem Toast herum und fragte sich, warum Gott in Seiner unendlichen Weisheit beschlossen hatte, daß Männer und Frauen so verschieden voneinander sein mußten.
»Ich wollte dir auch sagen, Joan, daß ich noch heute vormittag mit Tante Arleth sprechen werde. Falls sie es war, die Robert MacPherson eingeredet hat, ich hätte Fiona ermordet, werde ich sie dazu bringen, mir die Wahrheit zu gestehen.«
»Irgendwie kann ich das nicht so recht glauben, obwohl sie eine erschreckende Abneigung gegen dich hegt. Aber sie konnte auch Fiona nicht
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