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Die Jungfernbraut

Titel: Die Jungfernbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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von Passagieren, worauf Mensch und Tier gleichermaßen nervös reagierten. Der alte Mann, dem die Fähre gehörte, fluchte unflätig, und Sinjun bedauerte sehr, daß sie nur einen Bruchteil seiner Kraftausdrücke verstand, die wirklich interessant sein mußten, denn Colin zuckte einige Male merklich zusammen, als der Alte — von Pferden in die Schulter gebissen — laute Verwünschungen ausstieß, die bestimmt im Umkreis von fünf Kilometern zu hören waren.
    Als die Fähre ablegte, rechnete Sinjun ängstlich damit, daß es jeden Moment krachen würde. Ein holländisches Schiff rammte sie fast, und ein spanisches vermied Zusammenstöße nur dadurch, daß die Seeleute mit Hilfe langer Stangen jedes Boot zurückstießen, das ihnen zu nahe kam. Colin wirkte völlig unbekümmert, was Sinjun nicht weiter verwunderlich fand, denn schließlich war dieses ganze chaotische Treiben für ihn nichts Neues. Zum Glück war es ein schöner sonniger Tag; am blauen Himmel waren nur vereinzelte Wolken zu sehen. Als sie sich dem anderen Ufer des Forth näherten, stellte Sinjun entzückt fest, daß die Landschaft der Halbinsel Fife der von Sussex ähnelte: sanfte Hügel in kräftigen Grüntönen. In diesem Augenblick rammte die Forth Star einen anderen Kahn. Die beiden Kapitäne beschimpften einander wortgewaltig, die Pferde wieherten und schnaubten, und die Passagiere drohten mit ihren Fäusten. Sinjun hatte Mühe, nicht zu lachen, während sie in das allgemeine Geschrei einstimmte.
    Die Fähre überquerte die Bucht an der schmalsten Stelle, den sogenannten Queensferry Narrows, und das Wasser war hier schmutzig und schlammig, aber die Aussicht nach Osten, in Richtung Nordsee, war einfach herrlich.
    Colin brach unerwartet sein Schweigen. »Hier an der Flußmündung herrscht Ebbe und Hut. In seinem Oberlauf ist der Forth ein mächtiger Strom, tief und strahlend blau. Dann wird er schmäler und schlängelt sich durch eine Torfebene nach Stirling.«
    Sinjun atmete die salzige Luft begierig ein, nickte zu den Erklärungen ihres Mannes und stützte sich dann wieder mit den Ellbogen auf die Reling, um sich nur ja nichts entgehen zu lassen. Außerdem hatte sie keine große Lust, sich mit Colin zu unterhalten.
    »Wenn du dich einmal umdrehst, kannst du das Edinburger Schloß in seiner ganzen Schönheit bewundern, nachdem es heute so klar ist.«
    Sinjun drehte sich gehorsam um. »Gestern sah es viel unwirklicher aus, viel geheimnisvoller. Wahrscheinlich lag das am Nebel. Und die Zurufe der Soldaten hörten sich wie Geisterstimmen an. Herrlich gruselig.«
    »An den Nebel wirst du dich hier gewöhnen müssen. Selbst im Sommer kommt die Sonne manchmal wochenlang nicht durch. Aber es ist warm, und sogar um Mitternacht ist es noch hell genug zum Lesen.«
    Sinjun vergaß die Zurückhaltung, die sie sich selbst auferlegt hatte. »Hast du in Vere Castle eine große Bibliothek, Colin?«
    »Sie ist, wie alles andere, in miserablem Zustand. Mein Bruder hatte kein Interesse an Büchern, und nach seinem Tod hatte ich keine Zeit, mich um die Bibliothek zu kümmern. Du wirst einfach herumstöbern müssen, um festzustellen, ob etwas Interessantes darunter ist. Außerdem habe ich in meinem Turmzimmer noch eine kleine Privatbibliothek.«
    »Hast du auch Romane?« Er mußte über ihr hoffnungsvolle Stimme lächeln. »Sehr wenige, befürchte ich. Vergiß nicht — Schottland ist eine Hochburg der Presbyterianer, und jedem leichtfertigen Menschen, der Romane liest, ist das Höllenfeuer gewiß. Kannst du dir etwa vorstellen, daß John Knox sich an einem Roman von Mrs. Radcliffe erfreut?«
    »Na ja, ich nehme an, daß Alex mir zusammen mit meinen ganzen anderen Sachen auch meine Bücher schicken wird.«
    »Wenn dein Bruder nicht in der ersten Wut angeordnet hat, alles zu verbrennen.«
    »Durchaus möglich«, sagte Sinjun. »Wenn Douglas in Rage gerät, ist er zu allem fähig.«
    Sinjun hoffte sehr, daß ihre Truhen und Koffer bald eintreffen würden, denn sie hatte zur Zeit sehr wenig anzuziehen. Sogar ihr blaues Reitkostüm, das sie besonders liebte, sah mittlerweile nicht mehr allzu gepflegt aus. Sie klopfte den Staub von den Ärmeln und musterte verstohlen die anderen Passagiere. Die meisten waren Landsleute, bekleidet mit derben Wollstoffen in tristen Farben, offenen Lederwesten und Holzschuhen. Ein Aristokrat mit übertrieben hohem Hemdkragen war vom Schwanken der Fähre etwas grün im Gesicht. Ein anderer Mann, der wie ein wohlhabender Kaufmann aussah, spuckte

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