Die Jungfernbraut
du hier?«
»Papa, schnell! Du mußt nach Hause kommen! Sinjun ist schwer krank!«
»Sinjun?« wiederholte Colin verständnislos.
»Deine Frau, Papa, deine Frau. Beeil dich!« Philip zog seinem Vater einfach die Decken weg.
»Joan ist krank?«
»Nicht Joan, Papa, Sinjun. Bitte beeil dich! Tante Arleth wird sie sterben lassen, das weiß ich genau.«
Philip zitterte jetzt am ganzen Leibe.
»Verdammt, ich glaube es nicht! Mit wem bist du hergekommen? Was ist passiert?« fragte er, während er nackt aus dem Bett sprang. »Erzähl mir alles, Philip!«
Er zog sich hastig an, spritzte sich Wasser ins Gesicht und lauschte dabei aufmerksam dem Bericht seines Sohnes.
Philip erzählte ihm von dem Ritt zum Cowal Swamp, von dem Wolkenbruch auf dem Rückweg und wie Sinjun ihre eigene Reitjacke ausgezogen und ihm umgehängt hatte. Er erzählte von dem kalten Zimmer, den offenen Fenstern und von Tante Arleths Lügen, und dann brach er plötzlich in Tränen aus. Sein verzweifeltes Schluchzen erschreckte Colin, der seinen Sohn in die Arme nahm und fest an sich drückte. »Alles wird wieder gut, Philip. Ganz bestimmt. Du hast deine Sache sehr gut gemacht. Wir werden bald zu Hause sein und Joan helfen.«
»Sie heißt Sinjun.«
Colin zwang seinen erschöpften Sohn, wenigstens einige Löffel seines eilig zubereiteten Porridges zu essen. Eine halbe Stunde später galoppierten sie los. Philip hatte nichts davon hören wollen, in Edinburgh zu bleiben, um sich auszuruhen. »Ich muß wissen, wie es ihr geht«, hatte er energisch erklärt, und Colin hatte ihm nicht widersprochen, weil er stolz auf den Jungen war, der in dieser Nacht bewiesen hatte, daß er einmal ein tapferer Mann sein würde.
Sinjun fühlte sich erstaunlich friedvoll. Und sie war unglaublich müde, so müde, daß sie in alle Ewigkeit schlafen wollte. Sie hatte keine Schmerzen mehr, war nur noch von dem Wunsch beseelt, sich einfach fallenzulassen. Sie stöhnte leise, und ihre eigene Stimme war ihr fremd und schien von weither zu kommen. Wie konnte man nur so schrecklich müde sein und doch nicht einschlafen können?
Dann hörte sie eine Männerstimme, eine kräftige, tiefe, ungeduldige und befehlshaberische Stimme. Diesen zornigen Ton hatte sie nur allzuoft von ihren Brüdern gehört, aber es war weder Douglas' noch Ryders Stimme. Der Mann sprach jetzt dicht an ihrem Ohr, aber sie konnte seine Worte nicht verstehen, und es interessierte sie auch gar nicht, was er sagte. Eine zweite Stimme war zu hören, aber sie war sanft und unaufdringlich und würde sie nicht am Einschlafen hindern. Dann verstummte auch die laute, gebieterische Stimme, ihr Kopf sank zufrieden zur Seite, und ihr Atem wurde immer langsamer.
»Verflucht, wach auf! Ich sag's dir nicht noch einmal, Sinjun — wach auf! Du darfst nicht einfach aufgeben! Wach auf, du gottverdammte Range!«
Das Gebrüll riß sie schmerzhaft von der Schwelle zurück, hinter der etwas sehr Verführerisches wartete — Ruhe und Stille.
Da war diese Männerstimme schon wieder, eine schrecklich laute Stimme. Douglas brüllte so, aber das konnte nicht Douglas sein, denn er war weit von hier, in England. Doch wer es auch immer sein mochte — er sollte endlich still sein und sie einschlafen lassen. Sie öffnete die Augen, um ihm das zu erklären, und sah dicht über sich den schönsten Mann, den sie je gesehen hatte, mit schwarzen Haaren, dunkelblauen Augen und einem Grübchen am Kinn. Sie flüsterte heiser: »Du bist so schön . ..« Und dann schloß sie die Augen wieder, denn sie wußte, daß das ein Engel sein mußte, und folglich war sie im Himmel, und sie freute sich, daß dieser Engel bei ihr war.
»Himmelherrgott noch mal, mach die Augen auf! Ich bin nicht schön, ich habe mich ja nicht einmal rasiert.«
»Ein Engel flucht nicht«, brachte sie deutlich hervor und zwang sich, die Augen wieder zu öffnen.
»Ich bin kein Engel, sondern dein verdammter Ehemann! Du wachst jetzt auf der Stelle auf, Sinjun, verstanden? Ich dulde diese Faulenzerei nicht, und ich werde dich verprügeln, wenn du nicht sofort zu mir zurückkommst!«
»Verdammter Ehemann«, wiederholte sie langsam. »Ja, du hast recht, ich muß zurückkommen. Ich kann Colin nicht sterben lassen. Ich will nicht, daß er stirbt. Er muß gerettet werden, und nur ich kann das tun. Er ist zu anständig, um sich selbst zu retten. Er ist nicht grausam, und nur ich kann ihn retten.«
»Dann verlaß mich nicht! Du kannst mich nicht retten, wenn du stirbst,
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