Die Jungfrau Im Eis
wieder.«
»Und Euer Patient - ist er hier unbekannt?«
Prior Leonard sah ihn überrascht an. »Aber nein! Ich dachte, das wüßtet Ihr. Nun, mein Bote wurde in sehr großer Eile losgeschickt - wir hatten keine Zeit für lange Erklärungen.
Dieser Mann ist ein Benediktinermönch aus Pershore, der im Auftrag seines Abtes hier war. Mit jenem Kloster standen wir in Verhandlungen wegen eines Fingerknochens der Heiligen Eadburga, deren Reliquien, wie Ihr wißt, dort aufbewahrt werden, und dieser Bruder war damit betraut, ihn uns in seinem Reliquiar zu bringen. Diesen Auftrag hat er vor einigen Tagen erfüllt. In der Nacht des Ersten dieses Monats kam er hier an und blieb, um an dem Gottesdienst für die Übernahme der Reliquie teilzunehmen.«
»Wie kommt es dann«, wunderte sich Cadfael, »daß er nur einen oder zwei Tage später im Schnee aufgelesen und nackt zu Euch gebracht wurde? Offenbar seid Ihr Euren Gästen gegenüber in letzter Zeit recht nachlässig geworden, Leonard!«
»Aber er hat uns doch verlassen, Cadfael! Vorgestern sagte er, er müsse früh am folgenden Tag aufbrechen und zu seinem Kloster zurückkehren. Am nächsten Morgen machte er sich gleich nach dem Frühstück auf den Weg, und ich kann Euch versichern, daß er für den ersten Teil der Reise wohl ausgestattet war. Wir wissen ebensowenig wie Ihr, wie es geschehen konnte, daß er so nah bei uns überfallen wurde, und wie Ihr seht, kann er noch nicht sprechen und es uns erklären.
Wo er sich gestern in der Zeit zwischen Morgen und finsterer Nacht aufgehalten hat, weiß niemand - gewiß jedoch nicht dort, wo er gefunden wurde, sonst würden wir uns nicht um seine Genesung kümmern sondern die Glocke für ihn läuten müssen.«
»Wie auch immer, wenigstens kennt Ihr ihn. Was wißt Ihr über ihn? Hat er Euch seinen Namen genannt?«
Der Prior zuckte mit den knochigen Schultern. »Was sagt schon ein Name über einen Mann aus? Er heißt Elyas. Er ist noch nicht lange im Kloster, glaube ich - obwohl er darüber nichts gesagt hat. Er ist ein wortkarger Mann, und insbesondere war mein Eindruck, daß er nicht über sich selber sprechen mag.
Das Wetter machte ihm Sorgen. Wir hielten das für natürlich, da er sich ja nach Hause durchschlagen mußte, aber jetzt scheint mir, daß da noch mehr dahintersteckte. Er erwähnte nämlich eine Reisegruppe, die er auf dem Weg von Cleobury in Foxwood zurückgelassen hatte: ein paar Leute, die auf der Flucht aus Worcester waren. Er drängte sie, ihn hierher zu begleiten, da sie hier in Sicherheit seien, aber sie wollten weiter über die Hügel nach Shrewsbury. Das Mädchen, so sagte er, war unbeirrbar, und sie war es auch, die den Ton angab.«
»Das Mädchen?« Cadfael erstarrte und horchte auf. »Ein Mädchen gab den Ton an?«
»Anscheinend.« Leonard war überrascht, daß Cadfael dieser Sache so große Bedeutung beimaß.
»Hat er etwas über die anderen in der Gesellschaft gesagt?
Erwähnte er einen Jungen? Und wurden sie von einer Nonne beaufsichtigt?« Ihm fiel auf, wie schlecht seine Worte die Beziehungen der drei untereinander bezeichneten. Es war das Mädchen, das den Ton angab!
»Nein, mehr erzählte er uns nicht. Aber ich hatte den Eindruck, daß er besorgt um sie sei, denn wie Ihr wißt fiel der Schnee erst nach seiner Ankunft bei uns; und jemand, der über diese kahlen Hügel wandert... er machte sich wohl so seine Gedanken.«
»Und Ihr glaubt, er könnte nach ihnen gesucht haben, um sich zu vergewissern, daß sie die Hügel sicher überquert hatten und auf einem gangbaren Weg nach Shrewsbury waren? Es wäre nicht so weit ab von seinem Weg gewesen.«
»Das wäre möglich«, gab Leonard zu. Weiter sagte er nichts.
Mit einem besorgten Stirnrunzeln erforschte er Cadfaels Gesicht und wartete auf eine Erklärung.
»Ich frage mich... ich frage mich, ob er sie gefunden hat - ob er sie hierher in Sicherheit bringen wollte.« Er sprach mit sich selbst, denn der Prior hatte zwar geduldig die Augen auf ihn gerichtet, verstand aber kein Wort. Und wenn es so war, dachte Cadfael, was, um Gottes Willen, ist dann aus ihnen geworden?
Ihr einziger Helfer und Beschützer bewußtlos geschlagen und für tot zurückgelassen; und diese drei - wo mochten sie jetzt sein? Und doch gab es noch keinen Beweis dafür, daß es sich um die unglücklichen Hugonins und ihre junge Nonne handelte.
Viele arme Menschen, unter ihnen auch Mädchen, waren vor der Plünderung von Worcester geflohen.
Auch eigenwillige Mädchen, die den
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