Die Jungfrau Im Eis
zugestoßen ist, muß sich erst noch herausstellen. Er hatte Männer gekannt, die sich, nachdem sie sich von solchen Kopfverletzungen erholt hatten, an jede Einzelheit ihrer Kindheit und der vergangenen Jahre erinnern konnten, aber nicht daran, wie es zu ihrer Verwundung gekommen war.
Er nahm den abgekühlten Stein vom Fußende des Bettes, holte einen neuen aus der Küche und setzte seine Nachtwache fort. Der Patient schlief jetzt eindeutig, aber es war ein sehr unruhiger Schlaf, unterbrochen vom Wimmern und Stöhnen und unvermittelten Schaudern, die über den ganzen großen Körper liefen. Ein-oder zweimal bemühte sich Elyas in offenkundiger Verzweiflung etwas zu sagen - Kehle, Lippen und Zunge versuchten Worte zu formen, brachten aber keine oder nur gequälte, unverständliche Laute hervor. Cadfael beugte sich dicht über ihn, damit ihm die ersten sinnvollen Worte nicht entgingen. Aber die Nacht verging, und seine Wache brachte kein Ergebnis.
Vielleicht waren es die Geräusche, mit denen der strenge Rhythmus des klösterlichen Lebens bemessen wurde, die selbst im gestörten Bewußtsein dieses Kranken eine tiefsitzende Gewohnheit ansprachen, denn als die Glocke zur Prim rief, wurde er plötzlich ruhig, seine Augenlider flatterten und wollten sich öffnen, schlossen sich aber, selbst in diesem gedämpften Licht, gleich wieder schmerzhaft. In seiner Kehle arbeitete es, er öffnete die Lippen und versuchte zu sprechen.
Cadfael beugte sich vor und legte sein Ohr an den sich abmühenden Mund.
»... Wahnsinn...« sagte Elyas, oder jedenfalls glaubte Cadfael das zu hören. »Über den Clee«, stöhnte er, »in einem solchen Schneesturm...« Er warf den Kopf auf dem Kissen herum und zog vor Schmerz die Luft ein. »So jung... so eigensinnig...« Er fiel wieder in tieferen Schlaf, seine Unruhe ließ nach. Und dann sagte er mit kaum wahrnehmbarer, aber plötzlich deutlich zu verstehender Stimme: »Der Junge wäre mit mir gekommen.«
Das war alles. Wieder lag er bewegungslos und stumm. »Er hat das Schlimmste hinter sich«, sagte Cadfael, als Prior Leonard gleich nach der Prim kam, um sich nach dem Befinden des Patienten zu erkundigen, »aber es wird wohl noch eine Weile dauern.« Ein junger Mönch mit ernstem Gesicht stand respektvoll bereit, um ihn abzulösen. »Wenn er sich bewegt, gebt ihm etwas von dem süßen Wein. Ihr werdet sehen, daß er jetzt trinken kann. Bleibt dicht bei ihm und berichtet mir von jedem Wort, das er spricht. Ich glaube nicht, daß Ihr viel für ihn tun müßt, während ich meinen Schlaf nachhole, aber dort steht ein Eimer, sollte er einen brauchen. Haltet ihn gut zugedeckt, wenn er schwitzt, aber wischt ihm das Gesicht mit einem feuchten Tuch ab, um die Hitze zu lindern. Er wird schlafen, so Gott will. Schlaf vermag mehr für ihn als irgendein Mensch.«
»Seid Ihr zufrieden mit den Fortschritten, die er macht?« fragte Leonard besorgt, als sie zusammen hinausgingen. »Wird er es schaffen?«
»Er wird sehr gut genesen, wenn man ihm Zeit und Ruhe läßt.« Cadfael gähnte. Er wollte erst frühstücken und dann bis mittags schlafen. Danach, wenn er sich erst den Kopf-und Brustverband noch einmal angesehen und all die kleineren Wunden vorsorgt hatte, die zu eitern drohten, würde er klarer sehen, wie er sowohl Bruder Elyas pflegen als auch die verschwundenen Kinder suchen könnte.
»Und hat er gesprochen? Hat er irgendetwas Zusammenhängendes gesagt?« wollte Leonard wissen.
»Er sagte etwas von einem Jungen, und daß es reiner Wahnsinn sei, die Hügel in einem solchen Schnee zu überqueren. Ja, ich glaube, er ist den beiden Hugonins und ihrer Nonne begegnet und hat versucht, sie hierher zu bringen.
Aber das Mädchen bestand darauf, den Weg fortzusetzen«, sagte Cadfael. Er grübelte über diese junge Frau nach, die es sich in den Kopf gesetzt hatte, das Hügelland im Winter, und noch dazu in so gefährlichen Zeiten, zu durchqueren.
»Jung und eigensinnig«, sagte er. Aber so töricht und leichtsinnig sie auch sein mochten - diese unschuldigen Menschen durften nicht sich selbst überlassen werden. »Gebt mir etwas zu essen«, sagte Cadfael, der sich auf seine grundlegenden Bedürfnisse besann, »und dann zeigt mir mein Bett. Über die Gesuchten werden wir später nachdenken.
Solange er mich braucht, werde ich mich um Bruder Elyas kümmern. Aber ich sage Euch was Ihr tun könntet, Leonard, wenn Ihr einen Gast hier habt, der heute noch nach Shrewsbury will: Tragt ihm auf, Hugh Beringar
Weitere Kostenlose Bücher