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Die Jungfrau Im Eis

Die Jungfrau Im Eis

Titel: Die Jungfrau Im Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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Ton angaben? Nun, die wuchsen in Bauernkaten ebenso heran wie auf Schlössern, in der Stadt wie auf dem Land und in den Familien von Leibeigenen. Frauen waren so verschieden wie Männer.
    »Leonard«, sagte er ernst und beugte sich über den Tisch, »Habt Ihr nicht von der Proklamation des Sheriffs gehört, in der die Rede ist von zwei verschollenen Kindern aus Worcester, die sich in Begleitung einer Nonne des dortigen Konvents befinden?«
    Unbestimmt aber besorgt schüttelte der Prior den Kopf.
    »Nein, an eine solche Botschaft kann ich mich nicht erinnern.
    Wollt Ihr damit sagen, daß diese... Bruder Elyas war ganz gewiß etwas unruhig. Und Ihr glaubt, daß diese Reisenden, von denen er sprach, die Gesuchten sind?«
    Cadfael erzählte ihm die ganze Geschichte: von ihrer Flucht und wie sie gesucht wurden, von der Bitte ihres Onkels, der Gefangennahme und Kerker riskierte, sollte er auf der Suche nach ihnen die Grenzen des Königreiches überschreiten. Mit wachsender Bestürzung hörte Leonard ihm zu. »Sie könnten es tatsächlich gewesen sein. Wenn dieser arme Bruder nur sprechen könnte!«
    »Aber er hat ja gesprochen. Er sagte Euch, er habe sich in Foxwood von ihnen getrennt und sie seien entschlossen gewesen, die Hügel in Richtung Shrewsbury zu überqueren.
    Das würde bedeuten, daß sie vorhatten, am Clee vorbei nach Godstoke zu gehen, und dort befinden sie sich in dem Gebiet, das zur Priorei von Wenlock gehört. Da sind sie gut aufgehoben.«
    »Aber der Weg dorthin ist ungeschützt und beschwerlich«, stöhnte der Prior verzweifelt. »Und in der folgenden Nacht kam der schwere Schneefall.«
    »Wir können nicht sicher sein«, gab Cadfael vorsichtig zu bedenken. »Bisher ist es nur ein Verdacht. Ein Viertel der Bevölkerung von Worcester hat sich vor dem Massaker in diese Gegend geflüchtet. Ich sollte lieber bei unserem Patienten wachen als meine Zeit auf Spekulationen zu verschwenden.
    Denn nur er kann uns mehr erzählen, und außerdem: Ihn haben wir ja gefunden, er wurde uns auf die Schwelle gelegt und um ihn müssen wir uns kümmern. Geht zur Komplet, Leonard, und betet für ihn - ich werde dasselbe an seinem Lager tun. Und seid unbesorgt: Ich werde wachen, und wenn er spricht wird mir kein Wort entgehen, zu unser aller Wohl.«
    Während der Nacht trat die erste plötzliche, wenn auch unendlich kleine Veränderung ein. Bruder Cadfael war seit langem daran gewöhnt, mit offenen Augen und gespitzten Ohren zu schlafen. So döste er, den Kopf auf der Brust, mit verschränkten Armen auf einem niedrigen Schemel neben dem Bett vor sich hin. Er hatte einen Ellbogen auf den hölzernen Bettrahmen gestützt, damit ihm keine Bewegung des Patienten entging. Aber schließlich war es sein Gehör, das ihn hochschrecken ließ. Mit angehaltenem Atem beugte er sich vor, denn Elyas hatte gerade den ersten langen, tiefen, freieren Atemzug getan, einen Atemzug, der den ganzen geschundenen Körper von neuem zu beleben schien. Er stöhnte über die Schmerzen, die ihn überall quälten. Das furchtbare Röcheln war schwächer geworden, und obgleich es ihm Schmerzen bereitete, zog er die Luft gierig ein wie ein Hungriger, der nach etwas Eßbarem greift. Cadfael sah, wie ein heftiger Schauder über das aufgequollene Gesicht ging und die geschwollenen Lippen öffnete. Der Kranke versuchte, sie mit seiner trockenen Zunge zu befeuchten; vor Schmerz zuckte sie wieder zurück, aber die Lippen blieben geöffnet. Die starken Zähne waren nun nicht mehr zusammengebissen. Ein tiefes, seufzendes Stöhnen entrang sich seiner Brust.
    Cadfael hatte einen Krug Wein, der mit Honig gesüßt war, neben den Ofen gestellt, damit er warm blieb. Er träufelte einen kleinen Schluck zwischen die geschwollenen Lippen und sah zu seiner Befriedigung, daß das Gesicht des Bewußtlosen sich verkrampfte und die Kehle angestrengte Schluckbewegungen machte. Als er den Finger auf die wieder geschlossenen Lippen des Mannes legte, öffneten sie sich durstig. Geduldig gab Cadfael ihm, Tropfen für Tropfen, eine gehörige Portion Wein ein. Erst als schließlich keine Reaktion mehr kam, hörte Cadfael damit auf. Die kalte Bewußtlosigkeit hatte nun, da dem Körper innerlich und äußerlich etwas Wärme zugeführt worden war, langsam dem Schlaf Platz gemacht. Noch ein paar Tage Ruhe, damit sein Verstand sich wieder fangen kann, dachte Cadfael, und er wird es geschafft haben und auf dem Weg der Genesung sein. Ob er sich dann auch daran wird erinnern können, was ihm

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