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Die Jungfrau Im Eis

Die Jungfrau Im Eis

Titel: Die Jungfrau Im Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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Leere, als könne er dort den Teil seiner selbst sehen, der ihm entrissen worden war und den er nicht zurückholen konnte. Nur im Schlaf, und besonders wenn er einschlief oder erwachte, schien er erschüttert und erregt, als habe sich zwischen Wachen und jenem todesähnlichen Zustand der Schleier über dem verlorengegangenen Teil seines Gedächtnisses bewegt, ohne jedoch gelüftet zu werden.
    Yves war Cadfael über den Hof gefolgt. Unruhig und besorgt wartete er vor der Tür des Krankenzimmers, als Cadfael heraustrat.
    »Solltest du nicht im Bett sein, Yves? Du hast schließlich einen langen, anstrengenden Tag hinter dir.«
    »Ich will noch nicht schlafen«, sagte der Junge. »Ich bin gar nicht müde. Laßt mich doch bis nach der Komplet bei ihm sitzen. Ich möchte auch etwas tun.« Und wirklich - es mochte sein, daß dies das Beste für ihn war: etwas für jemand anderen tun. Bruder Elyas einen Kräutertrank einzuflößen würde ihn in seinen eigenen Sorgen und Enttäuschungen vielleicht etwas trösten. »Hat er immer noch nichts gesagt, was uns weiterhelfen kann? Erinnert er sich nicht an uns?«
    »Noch nicht. Manchmal ruft er im Schlaf einen Namen, aber das ist niemand, den du kennen könntest.« Er rief nach ihr wie nach einer, die er für immer verloren hatte, und aus seiner Stimme sprach Trauer, aber keine Sorge - sie mußte jenseits von Hunger und Schmerz sein. »Hunydd. Wenn er tief schläft ruft er nach Hunydd.«
    »Was für ein seltsamer Name«, sagte Yves verwundert. »Ist das ein Mann oder eine Frau?«
    »Es ist ein walisischer Frauenname. Ich glaube, sie war seine Frau, aber ich bin mir dessen nicht sicher. Und er hat sie sehr geliebt - zu sehr, um Frieden zu finden, wenn sie erst vor ein paar Monaten gestorben ist. Prior Leonard sagt, er sei noch nicht lange im Kloster. Vielleicht hat er versucht, einem Schmerz zu entkommen, den er allein nicht ertragen konnte und mußte dann feststellen, daß das in einer Gemeinschaft von Brüdern nicht leichter war.«
    Yves sah ihn ernst und geradeheraus an. Es war der Blick eines Erwachsenen. Auch wenn er diese Dinge selber noch nicht empfand, so konnte er sie doch verstehen. Cadfael klopfte ihm freundlich auf die Schulter. »Gut, setz dich zu ihm, wenn du willst. Nach der Komplet werde ich mit jemandem kommen, der dich ablösen soll. Ich werde in der Nähe sein, falls du mich brauchen solltest.«
    Elyas döste, öffnete kurz die Augen und döste weiter. Yves saß still neben seinem Bett und achtete auf jede Veränderung in dem starken und edlen, aber abgezehrten Gesicht.
    Bereitwillig war er zur Stelle, wenn der Kranke um etwas zu trinken bat oder Hilfe brauchte, um sich umzudrehen und bequemer hinzulegen. Wenn er wach war, versuchte der Junge vorsichtig den Mann, der sich ihm ja nicht ganz verschlossen hatte, zu erreichen, indem er unverfänglich über die bittere Kälte dieses Winters sprach oder über den Tagesablauf im Kloster. Mit tief in den Höhlen liegenden Augen betrachtete Bruder Elyas ihn aufmerksam, aber wie aus weiter Entfernung.
    »Seltsam«, sagte er plötzlich. Durch sein langes Schweigen war seine Stimme krächzend und leise. »Ich habe das Gefühl, ich sollte dich kennen. Aber du bist kein Klosterbruder.«
    »Ihr seid mir schon einmal begegnet«, sagte Yves eifrig und voller Hoffnung. »Wir sind ein Weilchen zusammen marschiert, erinnert Ihr Euch? Von Cleobury bis Foxwood. Mein Name ist Yves Hugonin.«
    Nein, der Name sagte ihm gar nichts. Aber der Anblick des Gesichtes schien irgend etwas in seinem verschütteten Gedächtnis anzusprechen. »Es lag Schnee in der Luft«, sagte er. »Ich sollte ein Reliquiar hierher bringen und sie sagen, das hätte ich auch getan. Sie sagen! Ich weiß nur, was sie mir sagen.«
    »Aber Ihr werdet Euch wieder erinnern«, sagte Yves ernst.
    »Es wird Euch alles wieder einfallen. Ihr dürft ihnen glauben, was sie sagen. Niemand hier versucht, Euch zu täuschen. Soll ich Euch noch mehr erzählen? Die Wahrheit, soweit ich sie weiß?«
    Der Mann machte ein erstauntes, zweifelndes Gesicht. Er ließ keine Ablehnung erkennen. Yves beugte sich vor und begann ernst und eifrig zu erzählen, was geschehen war.
    »Ihr kamt aus Pershore, aber auf einem Umweg, um nicht über Worcester gehen zu müssen. Und wir waren aus Worcester geflohen und wollten nach Shrewsbury. In Cleobury haben wir alle übernachtet, und Ihr wolltet, daß wir mit Euch nach Bromfield kämen, weil das der nächste sichere Ort sei, und ich wollte mit Euch gehen,

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