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Die Jungfrau Im Eis

Die Jungfrau Im Eis

Titel: Die Jungfrau Im Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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hin, befreite sich zitternd aus einer Schneewehe und wischte sich den Schnee aus dem Gesicht. Überall um ihn herum war fedriger Schnee, aber es war kalt, kalt, und der Wind, der ihm die Flocken ins Gesicht blies, schnitt wie Messer. Er stolperte bis zur Tür der Kirche und blieb stehen. Von drinnen ertönte Gesang. Es war schon später, als er gedacht hatte. Die Komplet hatte bereits begonnen.
    Er war zu genau in den Regeln unterwiesen worden, um zu wissen, daß er auf keinen Fall die Messe unterbrechen und um Hilfe rufen durfte. Einige Augenblicke lang hielt er inne, um Atem zu schöpfen und den Schnee von den Kleidern zu schütteln. Die Komplet dauerte nicht lange. Er konnte zurückgehen und versuchen, den verwirrten Patienten zu beruhigen bis die Messe beendet war. Dann würde er genug Leute zur Verfügung haben, die ihm helfen konnten. Er mußte Bruder Elyas nur noch eine Viertelstunde lang hinhalten.
    Er wandte sich um und kämpfte sich durch die Schneewehen zurück. Auf dem Hof nahmen ihm die wirbelnden Schneeflocken fast die Sicht. Er zog den Kopf ein wie ein kleiner Kampfstier und stemmte sich gegen den Wind an.
    Die Außentür des Krankenquartiers stand weit offen, aber er war sich nicht sicher, ob er in seiner Eile nicht vielleicht vergessen hatte, sie zu schließen. Er stolperte über den Gang, stützte sich dabei mit beiden Händen ab und wischte sich den Schnee aus dem Gesicht. Als er sah, daß auch die Tür des Krankenzimmers weit geöffnet war, blieb er mit einem Ruck stehen.
    Das Zimmer war leer und die Bettdecken lagen auf dem Boden. Bruder Elyas' Sandalen, die ordentlich neben dem Kopfende des Bettes gestanden hatten, waren verschwunden, ebenso wie Bruder Elyas. So wie er im Bett gelegen hatte - in seiner Ordenstracht, aber ohne Mantel oder Umhang - war er in die Nacht dieses 9. Dezembers verschwunden, in einen Schneesturm wie dem in jener Nacht, als er seine fast tödlichen Verletzungen erlitten hatte und Schwester Hilaria umgebracht worden war. Schwester Hilaria - der einzige Name, der ihn an diesem stillen Ort erreicht hatte.
    Yves rannte den Gang zurück zur Eingangstür und hinaus in den Sturm. Und dort waren Spuren, die er zuvor nicht gesehen hatte, weil er nicht mit ihnen gerechnet hatte. Bald würden sie zugeschneit sein, aber noch waren sie zu erkennen: die Abdrücke großer Füße, die die Stufen hinunter und über den Hof führten, nicht zur Kirche, nein - geradewegs zum Torhaus.
    Und der Bruder Pförtner war zur Komplet in der Kirche...
    Man hörte immer noch Gesang, und Elyas konnte noch nicht weit sein. Eilig holte Yves seinen Umhang aus dem Vorraum der Gästehalle und rannte dann mit großen Sätzen wie ein aufgeschreckter Hase zum Torhaus. Die Spuren füllten sich rasch mit Schnee, schon waren sie nur noch flache Vertiefungen in der weißen Fläche, die im Schein der wenigen brennenden Fackeln lediglich an den Schatten ihrer Ränder zu erkennen waren. Aber sie führten durch das Tor. Die Welt draußen bestand nur aus wirbelndem Weiß und mit seinen kurzen Beinen kam er in dem tiefen Schnee nur langsam voran, aber er kämpfte sich unermüdlich weiter. Die Spuren führten nach rechts und Yves folgte ihnen.
    Ein Stück weit die Straße hinunter blieb er stehen. Wohin er sich auch wandte - das Schneetreiben sah überall gleich aus.
    Er hatte die Richtung verloren, aber ein wenig weiter bergab, dort, wo noch immer die Furchen des Weges schwach zu erkennen waren, sah er, als der Sturm zufällig die Schneeflocken beiseite wirbelte und den Blick freigab, einen schwarzen Schatten. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, machte er sich an die Verfolgung.
    Es dauerte lange, bis er ihn eingeholt hatte. Elyas ging unglaublich schnell. Er schritt weit aus und pflügte durch den Schnee, so daß er eine tiefe Furche hinterließ. Ein Kranker, barhäuptig und in Sandalen - nur tiefe Leidenschaft und Verzweiflung konnten ihm diese Kraft geben. Obendrein, und das ängstigte Yves sogar noch mehr, schien er zu wissen, wohin er wollte oder vielleicht wurde er auch von einem geheimnisvollen Ort angezogen, ohne es zu wissen oder zu wollen. Die Spur, die er hinterließ, war schnurgerade.
    Trotzdem holte Yves ihn schließlich ein. Mit jedem Schritt kam er ihm näher, bis er die Hand ausstrecken und den weiten Ärmel der schwarzen Kutte packen konnte. Der Arm schwang weiter, als sei Elyas sich des Gewichtes, das an ihm hing, überhaupt nicht bewußt. Fast gelang es ihm, sich loszureißen, aber Yves klammerte sich

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