Die Jungfrau Im Eis
verfolgte. Demut würde für sie immer nur ein Mittel zum Zweck sein. Aber an ihrer tief empfundenen Liebe für eine verlorene Freundin konnte kein Zweifel bestehen.
»Ja, sie sind hier«, sagte Cadfael und breitete das Bündel auf der Bank zwischen ihnen aus. Den Umhang, der Bruder Elyas gehörte, legte er beiseite. Das kleine Haarbüschel fiel aus den Falten vor ihre Füße und zuckte in der Zugluft, die über den Boden strich, wie etwas Lebendiges. Sie hob es auf und betrachtete es stirnrunzelnd einige Augenblicke lang bevor sie Cadfael fragend ansah.
»Und dies?«
»Unter dem Dach der Hütte war einige Zeit lang ein Pferd angebunden. Unter dem Schnee haben wir Pferdedung gefunden, und diese Haare hatten sich im Holz verfangen, an dem es seine Mähne gescheuert hatte.«
»War das in derselben Nacht?« fragte sie.
»Wer kann das wissen? Aber der Dung lag tief unter dem Schnee und er war nicht frisch. Es könnte jene Nacht gewesen sein.«
»Ist es weit bis zu der Stelle, wo Ihr sie gefunden habt?«
»So weit, daß kein Mann freiwillig eine Leiche dort hintragen würde, selbst wenn er dadurch ein Verbrechen vertuschen wollte... außer, wenn er ein Pferd besitzt.«
»Ja«, sagte sie, »das waren auch meine Gedanken.«
Vorsichtig legte sie die Pferdehaare beiseite und hob das Gewand auf. Er sah ihr zu, wie sie es über ihre Knie breitete und leicht mit den Händen die Falten glattstrich. Ihre Finger kamen an die verkrusteten Stellen, hielten an dem Fleck auf der rechten Brust inne, verfolgten die Falten, die von ihm ausgingen und kehrten wieder zu ihm zurück.
»Ist das Blut?« fragte sie verwundert. »Aber sie hat doch gar nicht geblutet. Ihr habt mir erzählt, wie sie umgekommen ist.«
»Das stimmt. Dies Blut kann nicht von ihr stammen. Aber dennoch ist es Blut. Ich habe auch schwache Blutspuren an ihrem Körper gefunden, obwohl sie keine Verletzung aufwies.«
»Schwache Spuren!« sagte Ermina und sah ihn an. Ihre dunklen Augen blitzten. Sie legte ihre Hand auf die steife, verklebte Stelle auf der Brust des Gewandes und spreizte die Finger, um den ganzen Fleck zu bedecken, der mehr war als eine schwache Spur. Dann stammte das Blut also nicht von ihr, sondern von einem anderen... »Sein Blut? Das Blut des Mannes, der sie umgebracht hat? Sehr gut - dann muß sie ihn verwundet haben! Und doch... Ich hätte ihm die Augen ausgekratzt, aber sie? Sie war so zart und sanft...«
Plötzlich saß sie ganz still. Nachdenklich hatte sie das Kleid mit beiden Händen an ihre Brust gedrückt. So würde es aussehen, wenn sie selber es trüge. Der Schein der roten Glut beleuchtete ihr Gesicht und schimmerte als Spiegelbild in ihren Augen. Endlich erhob sie sich ruhig, schüttelte das Gewand aus, faltete es sorgsam zusammen und strich noch einmal mit der Hand darüber.
»Darf ich dies behalten? Nur so lange«, fügte sie mit überlegter Betonung hinzu, »bis es gebraucht wird, um den Mörder damit zu konfrontieren...?«
11. Kapitel
Im ersten Licht des Tages ritt Hugh Beringar von Bromfield nach Ludlow, um dort die Männer zu holen, die er auf den Marsch mitnehmen wollte, und Bruder Cadfael zog seine Stiefel an, schürzte seine Kutte, um bequemer reiten zu können, warf sich seinen Umhang um und ging mit ihm. Er würde die Männer führen, aber außerdem hatte er seinen Beutel mit Verbandsstoff und Salben gefüllt, denn bevor der Tag zur Neige ging, würde er vielleicht viele frische Wunden zu behandeln haben.
Bei ihrem Aufbruch ließ Ermina sich nicht sehen und darüber war er erleichtert, denn das bedeutete, daß sie noch tief und friedlich schlafen mußte. Er wußte nicht warum, aber ihre angespannte Verschlossenheit bereitete ihm Sorgen. Es war nicht nur die Angst um ihren Bruder, die ihr Herz belastete und auch nicht der Kummer und die Schuld, die sie bereits gebeichtet hatte und büßen wollte. Die gesammelte, ruhige Entschlossenheit, mit der sie ihn in der Nacht zuvor, Schwester Hilarias Gewand an die Brust gedrückt, verlassen hatte, stand ihm noch deutlich vor Augen. Sie hatte etwas von einem gesalbten, gewappneten jungen Ritter an sich gehabt, der sich am Vorabend seiner ersten Schlacht auf die Nachtwache vorbereitet.
Gottlob schien Olivier de Bretagne einen Weg gefunden zu haben, ihren Gehorsam zu erreichen, indem er eine noch unreife Liebe in ihrem Herzen wachrief. Auf seinen Befehl würde sie, ganz gegen ihre Natur, ruhig und tatenlos hierbleiben und das Handeln anderen überlassen. Aber warum nur hatte
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