Die Jungfrau Im Eis
Cadfael dann das Gefühl, daß sie sich für ihre erste Schlacht rüstete?
Sie selbst aber mußten jetzt ihre eigene Schlacht kämpfen und gewinnen.
An der Spitze der Männer, die Beringar gefordert hatte, kam Josce de Dinan aus der Burg von Ludlow. Er saß auf einem guten Pferd; ein großer, kräftig gebauter Mann mittleren Alters, mit einem rötlichen Gesicht. Beringar hatte insbesondere um Bogenschützen gebeten, und er bekam sie. In diesen Grafschaften entlang der Grenze gab es viele Männer, die den kurzen Bogen zu handhaben wußten, und Cadfael schätzte, daß es vom Rand des Baumbestandes, am Ende des Einschnittes, bis zur Palisade gerade einen Pfeilschuß weit war.
Aus dem Schutz der Bäume heraus konnten sie, indem sie die Verteidiger auf dem Wehrgang beschossen, einem Angriff Deckung geben. Zu dumm, daß nur ein Viertel des Plateaus, dort wo der Eingang der Schlucht einen Windschutz bot, mit Bäumen bestanden war, aber auch sie wurden zum Gipfel hin immer kleiner und verkrüppelter. Die Offenheit des Geländes bereitete Cadfael Sorgen. Die da drinnen würden auch Bogenschützen haben und Schießscharten, durch die sie schießen konnten, ohne sich den Pfeilen der Angreifer auszusetzen. Die Feinde waren gut vorbereitet - darüber gab er sich keinen Illusionen hin. Wer immer diese Festung dort oben errichtet hatte, kannte sein Geschäft, und nach dem sorglosen Treiben zu urteilen, dessen Geräusche an Cadfaels Ohr gedrungen waren, verfügte er über eine zahlenmäßig starke Mannschaft.
Der Marsch war leichter als sie erwartet hatten. In der vergangenen Nacht hatte es später begonnen zu schneien und früher wieder aufgehört als in den letzten Tagen. Auch der Wind war nicht so stark gewesen und Cadfael hatte sich den Verlauf des Weges gut eingeprägt. Die Luft war immer noch kalt und, jedenfalls hier unten, sehr klar. Die Spitzen der Berge jedoch waren in einen dünnen, weißen Nebel gehüllt. Das konnte ein Vorteil für sie sein, wenn sie sich ihrem Ziel näherten, denn dadurch blieben wenigstens ihre Bewegungen verborgen.
»Wenn sie heute Nacht einen Raubzug unternommen haben«, sagte Cadfael, »dann werden sie sich an einem solchen Morgen beeilt haben, früh und ungesehen in ihr Lager zu kommen. Wenn der Winter eine solche Atempause einlegt, stehen die Bauern beizeiten auf. Diese Nachträuber haben bei ihren Überfällen zwar Spuren hinterlassen, aber außer ihren Opfern hat sie bis jetzt noch niemand zu Gesicht bekommen.
Sie töten jeden, der ihnen zufällig über den Weg läuft, außer wenn sie glauben, er sei von Wert für sie. Aber nachdem sie erst vorgestern Nacht fette Beute gemacht haben, sind sie gestern vielleicht gar nicht erst ausgezogen. Wenn das stimmt, dann sind sie wach und ausgeruht und nicht so betrunken wie nach einem gelungenen Überfall, und das ist schlecht.«
Er ritt an der Spitze, Beringar zu seiner Seite, hinter dem Josce de Dinan einen Schritt zurückgeblieben war. Dinan war in jeder Hinsicht ein zu großer Mann, um Wert darauf zu legen, daß sein Pferd mit dem Beringars auf gleicher Höhe war, ohne sich darüber zu ärgern, daß er unter dem Kommando eines jüngeren und weniger erfahrenen Mannes stand. Er hatte es nicht nötig, seinen Wert durch solche Dinge unter Beweis zu stellen. Cadfael mochte ihn. Er hatte diesen angeblich wankelmütigen Verbündeten noch nie zuvor gesehen, aber er hielt ihn für einen fähigen Mann, den man nur ungern verlor.
»Vielleicht haben sie Wachen am Weg aufgestellt«, sagte Beringar.
Cadfael dachte nach und bezweifelte das. »Am Fuß des Berges, ja selbst auf halber Höhe wäre eine Wache zu weit vom Lager entfernt, um die anderen rechtzeitig warnen zu können und zu abgeschnitten, um selber vor einem Angriff sicher zu sein. Der beste Schutz des Zugangs ist, daß er gewöhnlich wohl übersehen wird, weil er so schmal ist und aussieht, als würde er im Fels enden. Ich habe ihn nur entdeckt, weil ich der Spur gefolgt bin. Jetzt allerdings weiß ich, wo er ist. Bis dorthin aber ist der Weg offen. Ich glaube, sie verlassen sich auf ihr Versteck und, wenn es entdeckt werden sollte, auf ihre Stärke.«
Die Landschaft um sie herum war öde und menschenleer.
Der große Berg vor ihnen, dessen Spitze in Wolken lag, ragte als stahlblauer Schatten auf. Cadfael betrachtete die verschneite Gegend mit zusammengekniffenen Augen und führte den Zug nach seinem Gedächtnis. An manchen Stellen hatte der Schnee der vergangenen Nacht die Spuren ausgelöscht,
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