Die Jungfrau Im Eis
herauszuholen.«
Beringar sah ihm gerade ins Gesicht und sprach offen aus, was er dachte: »Meint Ihr denn, sie würden sich mit Elyas belasten? Ja, mit dem Jungen vielleicht - seine Kleider weisen ihn als einen wertvollen Gefangenen aus. Aber ein besitzloser Mönch, der in geistiger Umnachtung durch die Gegend irrt? Sie haben ihn schon einmal fast totgeschlagen. Könnt Ihr Euch vorstellen, daß sie zögern würden, das ein zweitesmal zu tun?«
»Wenn sie sich seiner entledigt hätten«, sagte Cadfael bestimmt, »hätte ich seine Leiche gefunden. Aber das war nicht der Fall. Ich sehe keinen anderen Weg, die Wahrheit herauszufinden, Hugh, als zu denjenigen zu gehen, die sie kennen und sie aus ihnen heraufzupressen.«
»Das werden wir tun«, antwortete Beringar. »Bei Morgengrauen werde ich in die Stadt gehen und außer meinen eigenen alle Männer unter mein Kommando nehmen, die Josce de Dinan aufbringen kann. Er schuldet mir Gefolgschaft und ich werde dafür sorgen, daß ich bekomme, was mir zusteht. Er kann dieses gesetzlose Treiben ebensowenig dulden wie König Stephen.«
»Zu dumm«, bedauerte Cadfael, »daß wir sie nicht bei Morgengrauen angreifen können, aber dadurch würden wir einen ganzen Tag verlieren. Außerdem sind wir mehr auf das Tageslicht angewiesen als sie, denn schließlich kennen sie das Gelände viel besser als wir.« In Gedanken plante er schon den Angriff. Das hatte zwar schon seit Jahren nicht mehr zu seinen Aufgaben gehört, aber bei der Aussicht auf eine Schlacht packte ihn wieder sein alter Kampfgeist. Er sah, daß Beringar lächelte und schämte sich. »Verzeiht, ich vergesse mich. Ich bin eben ein sündiger Mensch.« Er wandte seine Gedanken wieder dem zu, was seine Aufgabe war: der Fürsorge bedrängter Seelen. »Ich muß Euch noch etwas zeigen, obwohl es vielleicht nicht im direkten Zusammenhang mit diesem Räubernest steht.«
Auf dem Tisch rollte er das schwarze Kleiderbündel auf, das er mitgebracht hatte und zog das verknitterte weiße Brusttuch und die langen Pferdehaare heraus. »Das war in der Hütte, tief unter dem Heu vergraben. Wenn Reyner den Heuhaufen nicht auseinandergetreten hätte, wären wir nie darauf gestoßen.
Aber seht es Euch selbst an. Und dies hatte sich draußen, an einer Ecke der Hütte, im Holz verfangen und gleich daneben lag ein Haufen Pferdedung.«
Mit derselben Genauigkeit wie von der Entdeckung der Festung auf dem Berg berichtete er von seinem Fund in der Hütte. Er brauchte Hilfe bei der Lösung dieses Rätsels.
Aufmerksam, mit gerunzelter Stirn, hörte Beringar zu und betrachtete die Sachen auf dem Tisch. Seine Müdigkeit war von ihm abgefallen. Sorgfältig erwog er die Bedeutung dessen, was Cadfael ihm sagte.
»Seine und ihre Kleider?« fragte er, als Cadfael geendet hatte. »Dann waren sie also gemeinsam dort.«
»Ja, das schließe ich auch daraus.«
»Aber er wurde doch in einiger Entfernung der Hütte aufgefunden. Er war nackt, ohne seine Kutte - und doch war sein Umhang in der Hütte. Und wenn Ihr recht habt, dann kehrte Elyas in seiner Verwirrung an eben diesen Ort zurück.
Aber warum? Was trieb ihn dorthin?«
»Das verstehe ich auch noch nicht«, antwortete Cadfael.
»Aber ich glaube, daß wir es, mit Gottes Hilfe, noch herausbekommen werden.«
»Und die Kleider waren versteckt - gut versteckt, sagt Ihr. Sie hätten unbemerkt bis zum Frühling dort liegen können und dann hätten sie ein Rätsel dargestellt, das niemand mehr zu lösen vermocht hätte. Aber haben denn diese Bestien jemals versucht, die Spuren ihrer Taten zu verbergen, Cadfael? Ich glaube nicht. Im Gegenteil - ihre Verbrechen liegen immer offen zutage.«
»Weil diese Teufel sich ihrer Taten nicht schämen«, bemerkte Cadfael.
»Aber vielleicht haben sie doch Angst. Trotzdem, alles in allem ergibt es keinen Sinn. Ich weiß einfach nicht, was ich davon halten soll. Zwar habe ich Vermutungen, aber die machen mich nicht gerade glücklich«, gab Beringar bedrückt zu.
»Mich auch nicht«, erwiderte Cadfael. »Aber ich habe Zeit.
Der Sinn wird sich ergeben, wenn wir mehr herausgefunden haben.« Und störrisch fügte er hinzu: »Und das Ergebnis wird vielleicht gar nicht so schlimm sein, wie wir annehmen, denn ich kann einfach nicht glauben, daß Gut und Böse so eng miteinander verbunden werden können, daß es unmöglich ist, sie wieder zu trennen.«
Keiner der beiden hatte bemerkt, daß die Tür zu dem kleinen Vorraum der Gästehalle, in dem Hugh Beringar sein Essen
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