Die Jungfrau Im Eis
Falltür in das blendende Tageslicht auf die Plattform gezerrt. Die Stimme des Löwen hatte in seinen Ohren gedröhnt und seine Faust ihn auf die Brustwehr gehoben, mit einer wütenden Bewegung, die ihn ebenso gut hätte hinabschleudern können. Instinktiv hatte er sich gehütet, einen Laut von sich zu geben. Jetzt, nachdem der Mann ihn ebenso plötzlich wieder losgelassen hatte, fühlte er, daß seine Beine unter ihm nachgaben und versteifte sie ärgerlich. Immer noch schwieg er. Daß er sich zu keinem Schreckensschrei hatte hinreißen lassen, erfüllte ihn mit Stolz, und nun stand er verbissen da und wartete darauf, daß sein heftig klopfendes Herz sich beruhigte. Es war schon eine Leistung, daß er sich überhaupt aufrecht halten konnte.
Alain le Gaucher stützte seine Hände auf die hölzernen Zinnen und verfolgte mit grimmigem Blick den Rückzug der Belagerer in den bewaldeten Einschnitt. Die drei Männer, die ihm auf den Turm gefolgt waren, warteten auf seine Befehle, ebenso wie Yves, der sich dazu zwang, nicht zusammenzuzucken, als der bärenstarke Mann sich zu ihm umdrehte und die funkelnden Augen ihn berechnend musterten.
»Also ist dieses Balg doch etwas wert, wenn auch kein Geld!
Ein Grund mehr, gut auf ihn aufzupassen - wir werden ihn noch gut gebrauchen können. O nein, ich weiß, sie haben sich nicht weit zurückgezogen. Sie werden erst abziehen, wenn sie es auf jede nur mögliche Weise probiert haben und jeder Versuch durch ein kleines Messer am Hals dieses Schweinchens vereitelt worden ist. Jetzt werden sie nach unserer Pfeife tanzen müssen! Ja, Bürschchen, für uns bist du so viel wert wie eine ganze Armee.«
Yves fand diese Worte wenig beruhigend. Er war jetzt, da ihr Versteck entdeckt war, als Geisel für sie unersetzlich und daher würden sie kein Lösegeld für ihn fordern. Sie konnten sich nun nicht mehr verstecken und die Geheimhaltung ihrer nächtlichen Überfälle dadurch sichern, daß sie, wie sie es zuvor getan hatten, jeden Zeugen niedermachten. Aber zumindest für eine Weile konnten sie die Drohung, ihren Gefangenen zu töten, wiederholen und sich mit seinem Leben freies Geleit erkaufen, um eine andere Gegend zu suchen. Aber nein - Hugh Beringar würde nicht so ohne weiteres aufgeben und er würde auch eine Geisel keinen Augenblick länger in ihren Händen lassen, als es sein mußte. Wenn auch nicht durch einen Frontalangriff, so würde er doch einen Weg finden, in dieses Räubernest einzudringen. Yves klammerte sich nach Kräften an diesen Gedanken, schwieg beharrlich und verzog keine Miene.
»Guarin, du bleibst hier bei ihm. Vor Einbruch der Dunkelheit lasse ich dich ablösen. Er wird dir keine Schwierigkeiten machen. Was kann er schon tun, außer über die Brustwehr klettern und sich unten den Schädel zerschmettern? Und ich schätze, er ist noch nicht so verrückt vor Angst, daß er diesen Ausweg wählt. Wer weiß, vielleicht gefällt es ihm mit der Zeit bei uns - was, Kleiner?« Er stieß Yves einen Finger in die Rippen und lachte. »Halte deinen Dolch bereit. Wenn sie sich sehen lassen, wenn du merkst, daß einer von ihnen sich anschleicht, rufst du ihn an und wiederholst die Drohung. Und wenn sie darauf nicht reagieren«, sagte er und ließ seine Zähne wie eine Falle zusammenschnappen, »laß ihn bluten! Wenn es hart auf hart geht, komme ich selber herauf. Mir werden sie glauben!«
Der Mann, der Guarin hieß, nickte und grinste. Vielsagend lockerte er den Dolch in seiner Scheide.
»Die anderen kommen mit mir hinunter. Wir müssen uns besser vorbereiten. Wir brauchen Wachen an allen Seiten. Sie werden auf jede nur mögliche Weise versuchen hereinzukommen, bevor sie vor Kälte aufgeben. Der Sheriff, der in einem solchen Winter im Freien übernachtet, ist noch nicht geboren. Sie werden es nicht länger als eine Nacht aushalten.«
In die Falltür war ein Ring eingelassen, an dem man sie hochziehen konnte. Er packte ihn mit seiner großen Hand, hob die Tür so mühelos, als sei sie aus Papier und ließ sie mit einem dumpfen Krachen auf die Bretter der Plattform fallen.
Man hörte das Klappern der eisernen Riegel, mit der sie an der Unterseite verschlossen werden konnte.
»Zur Sicherheit werde ich die Tür verriegeln. Keine Sorge, ich werde dir etwas zu essen bringen und dich heute abend ablösen lassen. Aber mit diesem Küken gehe ich kein Risiko ein. Er ist zu wertvoll für uns, um ihn aufs Spiel zu setzen.« So entschlossen wie er ihm das Messer an die Kehle gesetzt
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