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Die Jungfrau Im Eis

Die Jungfrau Im Eis

Titel: Die Jungfrau Im Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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schweißüberströmt.
    »Sieh einmal auf, mein Kleiner«, sagte die Stimme am anderen Ende der Leiter beinah fröhlich, »und zeig mir noch einmal dein Gesicht, auch wenn es schmutzig und zerschunden ist. Laß mich sehen, was meine Mühen mir eingetragen haben!«
    Yves hob den Kopf und blickte verwirrt in ein Gesicht mit hellen, golden schimmernden Augen und einem strahlenden, zufriedenen Lächeln. Es war ein junges, ovales Gesicht unter dem enganliegenden, dichten schwarzen Haar, mit hohen Backenknochen, dünnen schwarzen Augenbrauen, geschwungenen Lippen und einer schmalen, wie ein Krummsäbel gebogenen Nase. Nach normannischer Sitte trug der Jüngling keinen Bart und seine dunkle, glänzende Haut war glatt wie die eines Mädchens.
    »Sei ganz beruhigt. Laß sie nur toben - sie werden es bald aufgeben. Wenn wir auch nicht an ihnen vorbeigekommen sind, so können sie auch nicht an uns heran. Jetzt haben wir Zeit zum Nachdenken. Nur halte dich unterhalb der Brustwehr. Sie kennen sich hier aus und haben vielleicht Bogenschützen aufgestellt, die es auf vorwitzige Köpfe abgesehen haben.«
    »Und wenn sie Feuer an den Turm legen um uns herauszutreiben?« fragte Yves. Seine Stimme zitterte vor Aufregung und Furcht.
    »Nein, so dumm werden sie nicht sein. Der Saal würde mitverbrennen. Außerdem - warum sollten sie etwas Übereiltes tun, wo sie doch wissen, daß wir nicht hinauskönnen? Wir sind ihre Gefangenen, ob hier draußen in der Kälte oder unten bei ihnen in einer Zelle - das läßt sich nicht bestreiten. Du und ich, Messire Yves Hugonin, wir müssen uns jetzt etwas einfallen lassen.« Er neigte den Kopf und gebot mit erhobener Hand Schweigen, um auf das Stimmengewirr unten zu lauschen, das zu einem gedämpften, verschwörerischen Gemurmel geworden war. »Sie haben sich beruhigt. Wir sitzen hier oben in der Falle und sie werden uns einfach frieren lassen. Sie werden woanders benötigt und brauchen nur ein paar Männer als Wache zurücklassen. Sie können warten bis wir aufgeben.«
    Er sprach diese Worte mit Gelassenheit - der Gang der Ereignisse schien ihm nicht die geringsten Sorgen zu bereiten.
    Unter ihnen entfernte sich das Gemurmel und erstarb dann ganz. Er hatte die Situation richtig eingeschätzt: Alain le Gaucher wußte, daß er sich auf die wichtigsten Aufgaben konzentrieren mußte und alle seine Männer an der Palisade gebraucht wurden. Sollten seine Gefangenen, wenn sie auch Herren über eine Plattform waren, die nicht größer war als einige Schritte im Geviert, ihre Herrschaft ruhig noch ein wenig genießen. Bald schon würde die Kälte sie hilflos machen und vielleicht auch töten. Was immer sie auch taten, sie konnten nicht entkommen.
    Unten herrschte drohende Stille. Aber die Kälte, das ließ sich nicht leugnen, kroch ihnen in die Glieder und der tiefste, finsterste, kälteste Teil der Nacht stand ihnen noch bevor.
    Der Jüngling entspannte sich wieder, wandte sich dem Jungen zu und streckte seinen Arm aus. »Komm her, wir wollen uns wärmen, so gut es geht. Komm! Bald werden wir uns bewegen können, aber jetzt müssen wir diese Falltür zur Hölle noch ein wenig zuhalten. Und dabei können wir nachdenken, was wir als nächstes tun.« Dankbar kroch Yves zu ihm und schmiegte sich an ihn. Sie rückten ein wenig hin und her, bis sie eine bequeme Stellung gefunden hatten und der Kälte möglichst wenig Angriffspunkte boten. Yves atmete tief ein und legte seinen Kopf fast scheu an die Schulter seines Helden.
    »Ihr kennt mich«, sagte er zögernd. »Aber ich weiß nicht, wer Ihr seid.«
    »Du sollst es erfahren, Yves. Ich hatte noch keine Gelegenheit, mich vorzustellen, wie es sich gehört. Für alle außer dir, mein Freund, bin ich Robert, der Sohn eines der Wäldler im Clee-Wald. Du aber...«, er wandte den Kopf, sah in die großen, ernsten Augen des Jungen und lächelte, »du aber darfst wissen, wer ich wirklich bin, wenn ich mich darauf verlassen kann, daß du mich nicht verrätst. Ich bin einer der jüngsten und geringsten Ritter deines Onkels Laurence d'Angers. Mein Name ist Olivier de Bretagne. Mein Herr wartet ungeduldig in Gloucester auf Nachricht von mir. Ich wurde geschickt, dich zu finden und ich habe dich gefunden. Und du kannst gewiß sein, daß ich dich jetzt nicht mehr verlieren werde.«
    Yves war sprachlos, hin-und hergerissen zwischen Staunen, Freude und Besorgtheit. »Ist das wirklich wahr? Mein Onkel hat Euch geschickt, um uns zu finden und zu ihm zu bringen? In Bromfield sagte

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