Die Jungfrau Im Eis
einen lauten Alarmruf aus und stürzte, gefolgt von drei oder vier anderen, hinter ihnen her. Das Geschrei wehte die beiden Flüchtenden gleichsam die Stufen hinauf.
Am Ende der langen Treppe, vor der Leiter, wurde Yves gepackt und auf die halbe Höhe zur geöffneten Falltür hinaufgeworfen, und das war die Länge eines großen Mannes.
Er griff in die Sprossen der Leiter und kletterte hinauf, sah jedoch zögernd über seine Schulter, denn er wollte seinen Kameraden nicht allein dort unten zurücklassen. Der aber befahl ihm in scharfem Ton: »Los! Geh hinauf, schnell!« In aller Eile stieg er zu der Plattform hinauf, legte sich neben der Falltür auf den Bauch und sah aufgeregt hinab. Im Gewirr der Schatten, das durch das Sternenlicht über der geöffneten Falltür nur wenig erhellt wurde, erkannte er den ersten Verfolger, der mit gezogenem Schwert die schmalen Stufen hinaufstürmte. Es war ein großer Mann, dessen massiger Körper denen, die ihm folgten, die Sicht nahm.
Bis zu diesem Augenblick hatte Yves gar nicht gemerkt, daß sein Verbündeter eine Waffe trug. Das Schwert, das sie seinem Bewacher abgenommen hatten, lag noch immer hier auf dem Dach. Yves hatte nur sein Messer an sich genommen und es als Ersatz für den Dolch, den man ihm abgenommen hatte, stolz an seinem Gürtel befestigt. Unten flammte eine Klinge auf wie ein entfernter Blitz. Sie schwang sich durch die Dunkelheit und zog auf ihrer gekrümmten Bahn ein Nachglimmen aus Sternenlicht hinter sich her. Der Räuber schrie wütend auf. Sein kurzes Schwert wurde ihm aus der Hand geschlagen und fiel polternd auf den Boden. Im nächsten Augenblick traf ihn ein gestiefelter Fuß an der Brust und stieß ihn, während er noch um sein Gleichgewicht kämpfte, die Treppe hinab. Donnernd fiel er hintenüber und da die Treppe schmal war und kein Geländer hatte, wurden zwei oder drei der Männer von ihrem schwergewichtigen Anführer mitgerissen und mindestens einer stürzte durch das Treppenhaus in die Tiefe.
Ohne sie weiter zu beachten, machte der Jüngling einen großen Satz die Leiter hinauf und war einen Moment später neben Yves. Er warf das funkelnde Schwert auf das Eis der Plattform, ergriff mit kräftigen Händen die Leiter und zog sie hinauf. Als Yves verstand, was er vorhatte, packte er zu und half ihm. Er war wieder zu Atem gekommen und zog mit aller Kraft. Es gelang. Die Leiter war nicht fest verankert gewesen, sondern an Fuß- und Kopfende nur von Balken gestützt worden. Lange bevor der erste Angreifer unten wütend versuchen konnte sie festzuhalten, war sie außer Reichweite selbst des größten Mannes.
Als das Fußende der Leiter über der Falltür erschien, ließen sie sie auf die Plattform fallen. Klirrend zerbarst das Eis.
Wutschreie drangen zu ihnen hinauf und Yves wollte schon die Falltür über ihnen schließen, aber sein Verbündeter winkte ihn beiseite und gehorsam trat der Junge zurück. Was immer sein Held tat, würde gut und richtig sein. Und lächelnd, obwohl sein Lächeln im Dunkel kaum zu sehen war, packte sein Held einfach ihren Gefangenen, der nun an seinen Fesseln zerrte, schleppte ihn zur Falltür und richtete ihn sorgfältig auf, damit er nicht kopfüber fiel. Dann gab er ihm einen fast sanften Stoß, so daß er auf seine Freunde stürzte und zwei oder drei von ihnen unter sich begrub. Die Falltür schlug zu und dämpfte ihre Schmerzens-und Schreckensschreie.
»Und jetzt Beeilung!« Die ruhige Stimme klang fast tadelnd.
»Her mit der Leiter, hierher, über die Falltür. So! Jetzt legst du dich auf das Ende und ich auf dieses hier, dann werden sie die Tür kaum öffnen können.«
Wie befohlen legte Yves sich bäuchlings auf die Leiter. So lag er lange da, den Kopf in den Armen vergraben, keuchend und zitternd. Die Bohlen unter ihm bebten vom Lärm der Männer, die ein Stockwerk tiefer in ohnmächtiger Wut tobten - die Falltür war für sie unerreichbar, zwei Meter über ihren Köpfen. Und selbst wenn sie Geräte herbeischafften, auf die sie sich stellen konnten, würden sie nichts ausrichten können. Die Tür schloß so dicht, daß keine Lanzenspitze und kein Schwert durch ihre Ritzen gestoßen werden konnte. Und auch wenn sie mit einer Axt einschlugen, konnte immer nur ein einzelner hinaufklettern und die beiden oben auf der Plattform waren wachsam und bewaffnet. Mit angehaltenem Atem und gespreizten Armen und Beinen lag Yves auf der Leiter und machte sich schwer. Trotz der bitteren Kälte war er
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