Die Jungfrau im Lavendel
was sie tut? In die Wälder laufen? Du sagst selbst, sie weiß gar nicht, wo sie ist.«
Danio ließ sich tiefer in den Sessel gleiten, er schloß die Augen.
»Ich weiß wirklich nicht, was ich tun soll.«
Dido lächelte spöttisch.
»Es ist alles ganz einfach, mein Held. Am besten schläfst du ein paar Stunden. Es wird zwar bald hell, aber du kannst auch nicht früh um sechs in der Villa aufkreuzen, das würden Rose und Marcel sehr merkwürdig finden. Zumal du nie vor elf Uhr aufstehst. Morgen vormittag wirst du feststellen, ob Anita da ist. Falls nicht, hat alles keine Eile. Weder der Wagen, noch die Frage, was wir mit ihr anfangen. Dann macht sie eben Ferien in der Provence. Deine Schwester wird sich von ihrer besten Seite zeigen. Ich werde sie gut füttern und ihr nur noch ganz wenig Wein zu trinken geben.«
Danio streckte die Hand nach ihr aus.
»Meine kluge Schöne! Was täte ich ohne dich?«
Sie zog ihn an der Hand empor, schob ihn zum Lager, fegte die illustrierten Blätter beiseite.
»Da leg dich hin.«
»Komm zu mir.«
»O nein, jetzt nicht. Ich muß noch nachdenken. Sag mal … kannst du denn Anita in Paris nicht anrufen? In welchem Hotel wohnt sie denn?«
»Im Ritz, soviel ich weiß.«
»Na, ist ja wunderbar. Angenommen, sie ist nicht da, rufst du einfach morgen an, sagst, du machst dir Sorgen und fragst, wann sie kommt.«
»Meine kluge Schöne«, wiederholte Danio mit geschlossenen Augen, dann war er eingeschlafen.
Dido löschte das Licht bis auf eine Kerze. Sie nahm einen Schluck Wein, zündete sich eine Zigarette an. Müde war sie gar nicht. Sie mußte nachdenken.
Wenn einer mit dieser Situation fertig wurde, dann sie. Obzwar, das mußte sie zugeben, Danio hatte gehandelt, aber er hatte nicht überlegt gehandelt. War einfach losgefahren mit dem Mädchen, über zwei Grenzen, gefahren bis zur Erschöpfung, und wenn es schiefgegangen wäre, oder wenn das Mädchen Schwierigkeiten gemacht hätte, säße er jetzt in Untersuchungshaft.
Er kommt zu mir, dachte sie triumphierend. Nur zu mir. Ich werde überlegen, was zu tun ist.
Das erste Grau des Morgens dämmerte in den Fenstern. Es regnete immer noch, sanft und leise nur, es würde aufhören, wenn die Sonne über die Berge kam.
Sie stand leise auf, ging zur Tür und trat ins Freie. Eine wundervolle Luft. Kalt war es geworden in dieser Nacht. Auf den Wiesen lag Nebel. Und die Luft war erfüllt vom Duft des Lavendels, von Thymian und Rosmarin.
Plötzlich schreckte sie hoch.
Da drüben, unter den Bäumen, hatte sich da nicht etwas bewegt? Sie blickte genau hin, aber es war noch zu dunkel, um etwas zu erkennen. Nein, es war nichts.
Doch. Jetzt sah sie es deutlich. Da war ein Mensch. Jetzt trat er heraus aus dem Dunkel der Bäume, blieb stehen, mußte sie genauso sehen wie sie ihn.
Die Polizei. Da war sie schon. Man hatte seine Spur schnell gefunden.
In ihrem Kopf rasten die Gedanken. Was konnte sie tun? Nichts konnte sie tun. Drinnen schlief Danio, und in dem anderen Raum schlief das entführte Mädchen. Und ihre Pistole hatte sie auch nicht bei sich. Wozu auch? Sollte sie eine Schlacht mit der Polizei beginnen, ausgerechnet sie, ausgerechnet hier oben? Der Gedanke war so absurd, daß sie fast gelacht hätte.
Die Situation war aussichtslos. Auch wenn das Mädchen freiwillig mitgegangen war, wie er sagte, eine Entführung war es schließlich doch.
Sie trat unwillkürlich einen Schritt ins Freie, atmete tief diese köstliche Morgenluft ein.
Mein letzter Morgen in Freiheit, dachte sie.
Die ganze Familie Valmeraine ist zum Untergang verdammt, warum sollte es mich verschonen?
Sie ging noch einen Schritt vorwärts. Der Regen hatte nun ganz aufgehört, der Duft der Pflanzen war noch stärker geworden, irgendwo zirpte ein Vogel, und über dem Wald im Osten wurde es heller.
Dido trug keine Schuhe, barfuß in dem kurzen roten Kleid, wie eine Schlafwanderin, ging sie über die nasse Wiese, auf den Wald zu, und sie überlegte dabei, auf welche Weise sie sich töten solle. Man würde ihr erlauben, ein paar Sachen mitzunehmen, und so kam sie auch zu Melizas Beutelchen mit dem Pulver. Wie gut, daß sie es so sorgfältig aufbewahrt hatte. Sie würde gar nicht abwarten, was aus der ganzen Sache würde, am besten, sie nahm es gleich. Nun konnte sie auch Danio nicht mehr helfen.
Die Gestalt am Waldrand löste sich nun auch aus dem Schatten und kam auf sie zu, ging genauso langsam wie sie. Es war ein Mann, eine Uniform trug er nicht. Wenn es keine
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