Die Jungfrau im Lavendel
als sie erstmals Angst vor einer ernsthaften Krankheit bekam. Aber nun hatte sie diese Angst nicht mehr, nicht für heute und morgen. Sie glaubte Dr. Goldstein. Aber sie würde nie mehr so unbeschwert in den Tag hineinleben können wie zuvor. Das Wissen um die drohende Macht im Dunkel würde ihr Leben nun begleiten.
Danio fand sie attraktiver denn je. Schlank war sie immer gewesen, aber nun wirkte sie fragil, hilflos, die Augen noch größer in dem schmalen Gesicht, sie küßte ihn so zärtlich wie nie zuvor mit diesem weichen sinnlichen Mund.
»Weißt du«, sagte sie und schmiegte sich noch enger an ihn, »wir werden nicht mehr lange hierbleiben. Ist ja sehr hübsch hier, aber ich möchte wieder nach Hause. September und Oktober sind besonders schön bei uns, die Rosen blühen wieder, das Meer ist sanft und friedlich. Rose wird uns gute Sachen kochen, und manchmal gehen wir hübsch aus. Ich möchte wieder einmal vor einem Spieltisch sitzen. Und wir werden Castellone besuchen, diesen Spitzbuben, ob er endlich mein Bild fertig hat. Vorschuß hat er genug bekommen. Es ist ein Pendant zu dem blauen Bild, das über dem weißen Sofa hängt. Das rücken wir dann nach links, und das neue Bild kommt auf die rechte Seite. Es ist auch blau, aber eher ein nachtschwarzes Blau. Ich hab's ihm genau beschrieben, ich bin gespannt, ob er den Ton richtig getroffen hat.«
Es war seltsam, aber seit einiger Zeit interessierte sie sich wirklich für Bilder, es war nicht nur eine Marotte von ihr. Senhor Henriques war der erste, der dieses Interesse in ihr geweckt hatte, und nun, seit sie an der Côte lebte, wo so viele Künstler zu finden waren, hatte sich ihr Geschmack wie auch ihr Verständnis weiter entwickelt.
»Im Winter können wir dann mal nach Paris fahren und in die Oper gehen, wenn du magst«, fuhr sie fort. »Oder wir machen eine Schiffsreise.«
»Nur wenn du versprichst, nie mehr Geheimnisse vor mir zu haben. Nie mehr so etwas zu tun: einfach fortgehen, und ich weiß nicht, wo du bist.«
Es war Danio ernst mit dem, was er sagte. Er liebte sie, wie er sie nie geliebt hatte, in ihrer neuen sanften Schönheit, ihrer ein wenig morbiden Hilflosigkeit. Natürlich spielte auch der abrupte Abschied, den Dido ihm gegeben hatte, eine Rolle dabei. Ihr Verhalten hatte ihn verletzt und gedemütigt, er kam sich verstoßen vor, für eine Zeitlang mußte er annehmen, auch Anita habe ihn verlassen. Aber nun war alles wieder gut.
»Wenn du willst«, sagte sie, »können wir heiraten. Es macht manches leichter.« In Gedanken fügte sie hinzu: Falls ich doch wieder krank werde, wenn wieder so etwas geschieht, schlimmer vielleicht, dann ist für ihn gesorgt. Ich bin ja glücklich mit ihm, er ist mir treu, und ich will eigentlich gar nicht mit einem neuen Mann etwas beginnen. Noch einmal beginnen. Noch einmal den Tanz auf dem Seil, denn das ist es doch für eine Frau in meinem Alter. Im Oktober werde ich zweiundfünfzig. Ich will ihn behalten. Er ist Italiener, und eine Ehe wird ihn binden.
Danio, den Mund an ihrer Schläfe, flüsterte: »Bellissima, du machst mich sehr glücklich. Wir heiraten bald. Endlich.«
Und dabei dachte er: Was mache ich nur mit dem Mädchen? Das Mädchen muß weg. Ich war der größte Narr, es zu holen, was habe ich mir bloß dabei gedacht? Sie muß verschwinden, Anita wird nicht mehr nach ihr fragen, wird sie vergessen. Ich werde sie so glücklich machen, daß sie nie mehr an diese Tochter denkt.
Vom offenen Fenster kam kühl die Nachtluft herein, feucht vom Lac du Bourget, der unter ihnen lag. Danio zog sorglich die Decke über Anitas Schulter. Nach einer Weile schlief sie ein.
Er stand vorsichtig auf, schloß das Fenster, ging ins Wohnzimmer der Suite, die sie bewohnte, setzte sich in einen Sessel und zündete sich eine Zigarette an. Er mußte nachdenken.
Es war gut, wenn sie heirateten. Es störte ihn nicht, daß sie älter war. Sie war dennoch schöner als die meisten Frauen, und sie war reich. Er würde ein Leben führen können, wie es ihm behagte. Und er würde sie nie verletzen und vermutlich nicht einmal betrügen. Es hatte genug Frauen in seinem Leben gegeben, und wenn er eine davon geliebt hatte, war es Dido gewesen. Ihr Verhalten genügte ihm für alle Zeit. Verließ ihn von heute auf morgen wegen eines anderen Mannes. Basta! Er würde nicht mehr an sie denken.
Seine etwas zweifelhafte Stellung als Liebhaber von Madame Henriques würde sich jäh verändern, wenn sie Anita Carone hieß. Am
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