Die Jury
sollte in einem Monat beginnen. Die drei Motels in Clanton waren ab 15. Juli für zwei Wochen ausgebucht. Das besonders große und komfortable Best Western diente als Hauptquartier für die Presse aus Memphis und Jackson; das Clanton Courts hatte die beste Bar und das beste Restaurant, dort ließen sich Reporter aus Atlanta, Washington und New York nieder. Im alles andere als eleganten East Side Motel waren die Preise für den Juli verdoppelt worden, aber auch dort suchte man vergeblich nach einem freien Zimmer.
Zuerst reagierte der Ort freundlich auf die vielen Fremden, obgleich sie aufdringlich waren und mit seltsamen Akzenten sprachen. Doch als einige Zeitungsartikel wenig schmeichelhafte Beschreibungen von Clanton und den Leuten in der Stadt brachten, beschloß man, die Besucher mit kühlem Schweigen zu bestrafen. In einem lauten Café wurde es plötzlich still, wenn ein Fremder hereinkam. Die Kaufleute am Platz boten Männern und Frauen, die sie nicht kannten, kaum Hilfe an. Angestellte im Gerichtsgebäude überhörten Fragen, die man ihnen schon tausendmal gestellt hatte. Selbst den Reportern aus Memphis und Jackson fiel es schwer, neue Informationen zu bekommen. Die Bewohner von Clanton hatten es satt, dauernd als provinzielle Rassisten bezeichnet zu werden. Sie ignorierten die Besucher, denen sie nicht vertrauen konnten, und kümmerten sich um ihre eigenen Angelegenheiten.
Immer häufiger trafen sich die Reporter in der Bar des Clanton Court. Nur hier begegneten sie freundlichen Gesichtern; nur hier bestand Aussicht, ein angenehmes Gespräch mit jemandem zu führen. Sie saßen vor einem großen Fernseher, plauderten über die kleine Stadt und den Prozeß, und verglichen Notizen, Storys, Hinweise und Gerüchte. Meist tranken sie, bis sie betrunken waren, denn am Abend gab es in Clanton kaum einen anderen Zeitvertreib.
Am Sonntag, dem 23. Juni – einen Tag vor der Anhörung in Hinsicht auf die beantragte Verlegung des Verhandlungsortes –, füllten sich die Motels. Früh am Montagmorgen versammelten sich die Journalisten im Restaurant des Best Western, um Kaffee zu trinken und zu spekulieren. Vor Gericht bahnte sich nun die erste echte Konfrontation zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung an – vielleicht die einzige nennenswerte juristische Auseinandersetzung bis zum Prozeß. Man munkelte, angeblich sei Noose krank und hätte das oberste Gericht gebeten, einen anderen Richter mit dem Fall Hailey zu beauftragen. Nur ein Gerücht ohne Hand und Fuß, meinte ein Reporter aus Jackson. Um acht nahmen sie Kameras und Mikrofone und fuhren zum Stadtplatz. Eine Gruppe schlug ihr Lager vor dem Gefängnis auf, eine andere vor dem Hintereingang des Gerichtsgebäudes. Doch die meisten gingen zum Verhandlungssaal. Um halb neun waren dort alle Plätze besetzt.
Jake stand auf dem Balkon seines Büros und beobachtete die Aktivitäten vor dem Gericht. Sein Herz schlug schneller als sonst, und in der Magengrube prickelte es. Er lächelte – und war bereit für Buckley und die Kameras.
Noose blickte über seine lange Nase und die Lesebrille hinweg und sah sich im vollen Gerichtssaal um. Erwartungsvolle Stille herrschte.
»Die Verteidigung hat eine Verlegung des Verhandlungsortes beantragt«, sagte er. »Der Prozeß beginnt am Montag, dem 22. Juli. Nach meinem Kalender bleiben uns noch vier Wochen. Ich habe eine Frist für die Einreichung von Anträgen bestimmt, und wenn ich mich recht entsinne, gibt es keine anderen Termine bis zum eigentlichen Verfahren.«
»Das stimmt, Euer Ehren«, donnerte Buckley und stand halb auf. Jake rollte mit den Augen und schüttelte den Kopf.
»Danke, Mr. Buckley«, erwiderte Noose trocken. »Außerdem hat die Verteidigung mitgeteilt, daß sie auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren wird. Ist der Angeklagte in Whitfield untersucht worden?«
»Ja, Euer Ehren, in der vergangenen Woche«, antwortete Jake.
»Beabsichtigen Sie, ein eigenes psychiatrisches Gutachten vorzulegen, Mr. Brigance?«
»Selbstverständlich, Euer Ehren.«
»Ist der Angeklagte von Ihrem Psychiater untersucht worden?«
»Ja, Sir.«
»Gut. Das wäre also erledigt. Erwägen Sie weitere Anträge?«
»Vermutlich beantragen wir die Vorladung von mehr Geschworenenkandidaten, als es normalerweise üblich ist...«
»Die Staatsanwaltschaft wird Einspruch dagegen erheben!« rief Buckley und sprang auf.
»Setzen Sie sich, Mr. Buckley!« sagte Noose scharf. Er nahm die Lesebrille ab und bedachte den Bezirksstaatsanwalt
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