Die Jury
Sie Nachforschungen an, wenn Sie nicht sicher sind. Schreiben Sie Anmerkungen, wenn Ihnen der eine oder andere Weiße bekannt ist.«
»Gern, Jake. Es handelt sich doch nicht um etwas Illegales, oder?«
»Nein, aber Sie sollten mit niemandem darüber sprechen. Ich brauche Ihre Angaben bis Mittwoch morgen.«
»Sie sind der Boß.«
Tank bekam die letzte Liste. Jake setzte sich ans Steuer des Saab und fuhr zu seiner Praxis. Es war jetzt fast zehn. Ethel hatte die von Harry Rex zur Verfügung gestellte Liste noch einmal abgetippt und sie mehrmals fotokopiert. Für einige ausgewählte Freunde, die Jakes besonderes Vertrauen genossen: Lucien, Stan Atcavage, Tank, Dell vom Café, Roland Isom, der als Anwalt in Karaway arbeitete, und einige andere. Selbst Ozzie erhielt eine Kopie.
Knapp fünf Kilometer von Tanks Tonk entfernt stand ein kleines weißes Landhaus, in dem Ethel und Bud Twitty seit fast vierzig Jahren wohnten. Sie fühlten sich dort wohl und verbanden mit ihrem Heim angenehme Erinnerungen an aufwachsende Kinder, die nun in verschiedenen Regionen des Nordens lebten. Jener geistig zurückgebliebene Sohn, der so sehr Lucien ähnelte, hatte sich aus irgendeinem Grund in Miami niedergelassen. Es war nun stiller im Haus. Schon seit vielen Jahren arbeitete Bud nicht mehr, seit seinem ersten Schlaganfall 1975. Herzprobleme und einige weitere Schlaganfälle folgten. Er wußte, daß ihm nicht mehr viel Zeit blieb, und er hatte sich damit abgefunden, irgendwann auf der Veranda den letzten und tödlichen Schlaganfall zu erleiden. Während er schwarze Bohnen auspulte. Er wo llte auf diese Weise aus dem Leben scheiden, friedlich, von einem Augenblick zum anderen.
Am Montagabend saß er auf der Veranda, enthülste schwarze Bohnen und lauschte der Radioübertragung eines Baseballspiels. Ethel arbeitete in der Küche. Die Cardinals erzielten gerade einen weiteren Punkt, als Bud ein Geräusch neben dem Haus vernahm. Er drehte die Lautstärke herunter. Wahrscheinlich nur ein Hund. Doch kurz darauf wiederholte sich das verdächtige Rascheln. Er stand auf und ging zum Ende der Veranda. Plötzlich sprang eine große Gestalt hinter den Büschen hervor – sie war ganz in Schwarz gekleidet, und im Gesicht zeigten sich rote, weiße und schwarze Farbstreifen –, packte Bud und riß ihn von der Terrasse. Der erstickte Schrei drang nicht bis zur Küche. Ein zweiter Fremder gesellte sich dem ersten hinzu, und gemeinsam zerrten sie den Alten zur Verandatreppe. Einer hielt ihn fest, und der andere versetzte ihm mehrere Fausthiebe in den Bauch und ins Gesicht. Innerhalb weniger Sekunden verlor er das Bewußtsein.
Ethel hörte etwas und eilte durch die Vordertür. Das dritte Mitglied der Gang drehte ihr den einen Arm auf den Rücken und schloß eine große Hand um ihren Hals. Sie konnte weder schreien noch sich bewegen, stand auf der Veranda und beobachtete entsetzt, wie die beiden anderen Männer Bud zusammenschlugen. Mehrere Meter hinter ihnen, auf dem Bürgersteig, warteten drei Gestalten in langen weißen Kutten mit roten Verzierungen. Ihre Gesichter verbargen sich unter ebenfalls weißen, spitz zulaufenden Kapuzen. Nach einer Weile näherten sie sich langsam, sahen dem Geschehen zu und wirkten dabei wie die drei Weisen an der Krippe.
Die Fäuste hämmerten noch immer auf den reglosen Bud ein. »Genug«, sagte einer der drei Kuttenträger schließlich. Die Schwarzgekleideten wand ten sich sofort um und liefen fort. Ethel eilte die Treppe hinunter und beugte sich über ihren blutenden Mann. Als sie den Kopf hob, waren die drei weißen Gestalten verschwunden.
Jake verließ das Krankenhaus nach Mitternacht. Bud lebte noch, aber es sah nicht gut für ihn aus. Abgesehen von den Knochenbrüchen hatte er einen weiteren Schlaganfall erlitten. Ethel war völlig außer sich und gab Jake die Schuld.
»Sie haben behauptet, es bestünde keine Gefahr!« schrie sie. »Sagen Sie das meinem Mann! Sie tragen die Verantwortung dafür!«
Er hatte stumm zugehört, während Ethel heulte und heftige Vorwürfe gegen ihn erhob. Nach einigen Minuten verwandelte sich seine Verlegenheit in Zorn. Er ließ den Blick durch das kleine Wartezimmer schweifen und sah die Freunde und Verwandten der Twittys an. Sie alle musterten ihn. Ja, dachten sie. Jake Brigance ist dafür verantwortlich.
28
G wen rief früh am Dienstagmorgen im Büro an, und am anderen Ende der Leitung meldete sich die neue Sekretärin Ellen Roark. Sie betätigte mehrere Tasten der
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