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Die Jury

Titel: Die Jury Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Küche, um Nachschub zu holen. Jake nahm zum hundertsten Mal an diesem Tag die Karteikarten und breitete sie auf dem Tisch aus. Name, Alter, Beruf, Familie, Rassenzugehörigkeit, Bildung – seit dem frühen Morgen hatte er diese Informationen immer wieder gelesen.
    Seine Assistentin brachte die zweite Runde und griff nach den Unterlagen.
    »Correen Hagan«, sagte sie und nippte am Glas.
    Jake überlegte kurz. »Alter etwa fünfundfünfzig. Arbeitet als Sekretärin für einen Versicherungsvertreter. Geschieden, zwei erwachsene Kinder. Bildung... Vermutlich High-School, mehr nicht. In Florida geboren, wenn ich mich recht entsinne.«
    »Beurteilung.«
    »Ich glaube, ich habe ihr eine Sechs gegeben.«
    »Gut. Millard Sills.«
    »Ihm gehört eine Pecanoplantage in der Nähe von Mays. Etwa siebzig Jahre alt. Während eines Überfalls in Little Rock vor einigen Jahren wurde sein Neffe von zwei Schwarzen angeschossen. Er haßt alle Nicht-Weißen. Sills darf auf keinen Fall Geschworener werden.«
    »Beurteilung.«
    »Eine glatte Null.«
    »Clay Bailey.«
    »Etwa dreißig Jahre alt. Sechs Kinder. Sehr in der Kirche engagiert. Arbeitet in der Möbelfabrik westlich von Clanton.«
    »Hier steht eine Zehn.«
    »Ja. Ich bin sicher, daß er in der Bibel von ›Auge um Auge, Zahn um Zahn‹ gelesen hat. Außerdem müßten von seinen sechs Kindern mindestens zwei Mädchen sein.«
    »Haben Sie sich die Daten aller Vorgeladenen eingeprägt?« Jake nickte und trank einen Schluck. »Ich fühle mich so, als sei ich schon seit Jahren mit ihnen vertraut.«
    »Wie viele erkennen Sie vor Gericht?«
    »Nur sehr wenige. Aber bestimmt weiß ich mehr über sie als Buckley.«
    »Ich bin beeindruckt.«
    »Wie bitte? Es ist mir gelungen, Sie mit meinem Intellekt zu beeindrucken?«
    »Unter anderem.«
    »Welch eine Ehre für mich. Ich habe ein strafrechtliches Genie beeindruckt. Die Tochter von Sheldon Roark, wer auch immer er sein mag. Ein wahres Summa cum laude. Warten Sie nur, bis ich Harry Rex davon erzähle.«
    »Wo ist der Elefant? Ich vermisse ihn. Ein netter Kerl.«
    »Rufen Sie ihn an. Laden Sie ihn ein, an unserer Balkonparty teilzunehmen und zu beobachten, wie sich die Truppen auf den entscheidenden Kampf vorbereiten.«
    Ellen ging zum Telefon auf Jakes Schreibtisch. »Und Lucien?«
    »Nein! Ich habe genug von ihm.«
    Harry Rex brachte eine Flasche Tequila mit, die er irgendwo in seinem Barschrank gefunden hatte. Er und Ellen stritten sich heftig über die richtigen Zutaten für eine gute Margarita. Jake stellte sich auf die Seite seiner Assistentin.
    Sie saßen auf dem Balkon, lasen Namen von den Karteikarten, tranken das hochprozentige Gebräu, riefen den Soldaten etwas zu und sangen Jimmy-Buffet-Lieder. Gegen Mitternacht kletterte Ellen in den unten geparkten Streifenwagen, und Nesbit fuhr sie zu Lucien. Harry Rex taumelte nach Hause, und Jake schlief auf der Couch.
33
    M ontag, 22. Juli. Nicht lange nach der letzten Margarita setzte sich Jake ruckartig auf und starrte zur Uhr. Er hatte drei Stunden geschlafen. In seiner Magengrube krampfte sich etwas zusammen, und ein nervöses Prickeln erfaßte seinen ganzen Leib. Himmel, gerade jetzt durfte er sich keinen Kater erlauben.
    Nesbit schlummerte wie ein Kind am Steuer des Streifenwagens. Jake weckte ihn und nahm im Fond Platz. Er winkte den Wachtposten zu, die neugierig auf der anderen Straßenseite Ausschau hielten. Der Deputy fuhr zwei Blocks weit zur Adams Street, ließ seinen Passagier dort aussteigen und wartete auf der Zufahrt. Jake duschte und rasierte sich rasch. Er wählte einen schwarzgrauen Kammgarnanzug, ein weißes Hemd und eine sehr neutrale, schlichte, burgundrote Seidenkrawatte mit marineblauen Streifen – damit konnte er bestimmt keinen Anstoß erregen. Die gebügelte Hose schmiegte sich perfekt an seine schmale Taille. Er sah großartig aus, viel besser als der Feind.
    Nesbit schlief erneut, als Jake den Hund nach draußen ließ und wieder in den Fond sprang.
    »Alles klar im Haus?« fragte der Deputy und wischte sich Speichel vom Kinn.
    »Ich habe kein Dynamit gefunden, wenn Sie das meinen.«
    Nesbit lachte – sein typisches, ärgerliches Lachen, mit dem er auf fast alles reagierte. Sie fuhren um den Platz, und Jake stieg vor der Praxis aus. Drinnen schaltete er das Licht ein und kochte Kaffee.
    Er nahm vier Aspirintabletten und trank einen Viertelliter Fruchtsaft. Die Augen brannten, und hinter der Stirn pochte wieder dumpfer Schmerz – doch der eigentliche Streß

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