Die Jury
übernachten. Jake schätzte ihre Zahl auf zweihundert. Sie schlenderten vor dem Gerichtsgebäude umher oder gingen in kleinen Gruppen am Platz entlang, starrten in Schaufenster und warteten darauf, daß es hell wurde. Vermutlich erhofften sie sich etwas Aufregung.
Noose war bestimmt außer sich. Wie konnte man es wagen, die Nationalgarde zu rufen, ohne ihn vorher zu fragen! Er trug die Verantwortung für den Prozeß. Der Bürgermeister hatte darauf hingewiesen, und Jake erklärte, es sei die Pflicht des Bürgermeisters und nicht die des Richters, für Sicherheit in Clanton zu sorgen. Ozzie pflichtete ihm bei, und man verzichtete darauf, mit Noose zu telefonieren.
Der Sheriff und Moss Junior Tatum trafen ein und begegneten dem Colonel am Pavillon. Sie gingen um das Gerichtsgebäude herum und inspizierten die Truppen. Ozzie deutete in verschiedene Richtungen, und der Colonel nickte mehrmals. Moss Junior schloß den Vordereingang des Gerichts auf, damit sich die Soldaten Trinkwasser holen und die Toiletten benutzen konnten. Es war nach neun Uhr, als der erste Pressegeier von der Besetzung Clantons erfuhr. Eine Stunde später wimmelte es überall von Journalisten, die mit Kameras und Mikrofonen hantierten, um wichtige Bemerkungen von Sergeanten oder Corporals in Bild und Ton festzuhalten.
»Wie heißen Sie, Sir?«
»Ich bin Sergeant Drumwright.«
»Woher kommen Sie?«
»Aus Booneville.«
»Wo ist das?«
»Etwa hundertfünfzig Kilometer entfernt.«
»Warum sind Sie hier?«
»Der Gouverneur hat uns um Hilfe gebeten.«
»Aus welchem Grund?«
»Er bat uns darum, hier alles unter Kontrolle zu halten.«
»Rechnen Sie mit Schwierigkeiten?«
»Nein.«
»Wie lange bleiben Sie hier?«
»Keine Ahnung.«
»Sind Sie bis zum Ende des Prozesses in Clanton stationiert?«
»Keine Ahnung.«
»Wer kann uns darüber Auskunft geben?«
»Der Gouverneur, nehme ich an.«
Und so weiter.
Während des ruhigen Sonntag morgens sprach sich die Nachricht von der Invasion rasch herum. Nach den Gottesdiensten begaben sich viele Bürger zum Stadtplatz, um festzustellen, ob die Armee tatsächlich das Gerichtsgebäude erobert hatte. Die Wachtposten schoben mehrere Absperrungen beiseite und erlaubten es den Neugierigen, am Rasen entlangzufahren und die Soldaten mit ihren Waffen und Jeeps anzustarren. Jake saß auf dem Balkon, trank Kaffee, las Karteikarten und prägte sich Informationen über die Vorgeladenen ein.
Er rief Carla an, erwähnte die eingesetzte Nationalgarde und wies darauf hin, daß er sich nie sicherer gefühlt habe. Hunderte von schwerbewaffneten Soldaten auf der anderen Seite der Washington Street warteten darauf, ihn zu beschützen. Ja, er hatte nach wie vor seinen Leibwächter. Ja, das Haus stand noch. Er bezweifelte, ob die Zeitungen schon über Bud Twittys Tod berichtet hatten, und deshalb ließ er ihn unerwähnt. Vielleicht würde Carla nichts davon erfahren. Ein Angelausflug mit dem Boot ihres Vaters war geplant, und Hanna wollte, daß auch ihr Daddy daran teilnahm. Als Jake auflegte, vermißte er die beiden mehr als jemals zuvor in seinem Leben.
Ellen Roark trat durch die Hintertür der Anwaltspraxis und legte eine kleine Einkaufstüte auf den Küchentisch. Sie entnahm dem Aktenkoffer einen Schnellhefter und suchte nach ihrem Chef. Er saß erneut auf dem Balkon, blickte über die Karteikarten hinweg und beobachtete das Gerichtsgebäude. »Guten Abend, Row Ark.«
»Guten Abend, Boß.« Sie reichte ihm einen zweieinhalb Zentimeter dicken Bericht. »Meine Ermittlungen im Hinblick auf die Vergewaltigung. Bitte entschuldigen Sie den Umfang. Die Sache ist komplexer, als ich zunächst dachte.«
Das Ergebnis von Ellens Arbeit war so gut wie die anderen Berichte. Nichts fehlte: Inhaltsangabe, Bibliographie, alle Seiten numeriert. Jake blätterte darin. »Verdammt, Row Ark! Ich habe nicht um ein Lehrbuch gebeten.«
»Ich weiß, daß Sie vor wissenschaftlichen Abhandlungen zurückschrecken. Aus diesem Grund habe ich mir ganz bewußt Mühe gegeben, keine Wörter mit mehr als drei Silben zu benutzen.«
»Wir scheinen heute ein wenig gereizt zu sein, wie? Könnten Sie dieses Material in einer Dissertation von etwa dreißig Seiten zusammenfassen?«
»Hören Sie: Es handelt sich um die gründliche juristische Studie einer begabten Jurastudentin, die dazu in der Lage ist, bemerkenswert klar zu denken und zu schreiben. Ihnen liegt ein geniales Werk vor, und es wird Ihnen völlig kostenlos zur Verfügung gestellt. Es gibt
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