Die Jury
dann die erste, ging zur Geschworenenbank und reichte das Bild Reba Betts. Es zeigte Willards Kopf aus unmittelbarer Nähe.
»Mein Gott!« stöhnte Betts und gab das Foto dem nächsten Geschworenen, der darauf hinabstarrte und nach Luft schnappte. Alle Jurymitglieder betrachteten das Bild, auch die beiden Stellvertreter. Buckley nahm es zurück und reichte Reba ein zweites. Dreißig Minuten lang setzte sich dieses Ritual fort, bis die Geschworenen alle Fotografien gesehen hatten.
Dann griff Buckley nach der M-16 und ging damit zu Ozzie, der im Zeugenstand saß. »Können Sie das hier identifizieren?«
»Ja. Es ist die am Tatort gefundene Waffe.«
»Wer fand sie dort?«
»Ich selbst.«
»Wie verfuhren Sie damit?«
»Ich habe sie in einem Plastikbeutel verstaut und im Gefängnis unter Verschluß gehalten. Später stellte ich sie Mr. Laird zur Verfügung, der sie in Jackson untersuchte.«
»Euer Ehren, die Staatsanwaltschaft legt die Waffe als Beweisstück Nummer 13 vor«, verkündete Buckley und hob sie demonstrativ.
»Keine Einwände«, sagte Jake.
»Wir sind mit diesem Zeugen fertig.« Rufus ging zum Tisch der Anklage.
»Kreuzverhör?«
Jake blätterte in seinen Notizen, als er zum Pult schritt. Er wollte dem Sheriff nur einige Fragen stellen.
»Haben Sie Billy Ray Cobb und Pete Willard verhaftet?«
Buckley schob den Stuhl zurück und saß einmal mehr auf der Kante, um nötigenfalls aufzuspringen und mit schriller Stimme Einspruch zu erheben.
»Ja«, antwortete Ozzie Walls.
»Aus welchem Grund?«
»Wegen der Vergewaltigung von Tonya Hailey«, sagte Ozzie.
»Wie alt war das Opfer, als es von Cobb und Willard vergewaltigt wurde?«
»Zehn Jahre.«
»Sheriff, stimmt es, daß Pete Willard ein schriftliches Geständnis ablegte und...«
»Einspruch! Einspruch! Euer Ehren! Derartige Fragen sind nicht zulässig, und das weiß Mr. Brigance ganz genau.« Walls achtete nicht auf den Bezirksstaatsanwalt und nickte bestätigend.
»Stattgegeben.«
Buckley zitterte. »Ich bitte darum, daß die Frage aus dem Protokoll gestrichen und die Jury aufgefordert wird, sie nicht zu beachten.«
»Ich ziehe sie zurück«, meinte Jake, sah Buckley an und lächelte.
»Schenken Sie der letzten Frage von Mr. Brigance keine Beachtung«, wies Noose die Geschworenen an.
»Das wäre alles, Euer Ehren«, sagte Jake.
»Möchten Sie den Zeugen noch einmal vernehmen, Mr. Buckley?«
»Nein, Sir.«
»Gut. Sie können gehen, Sheriff.«
Als nächsten Zeugen rief Buckley einen Fingerabdruck-Spezialisten aus Washington auf, der eine Stunde lang von Dingen berichtete, die den Geschworenen schon seit Wochen bekannt waren. Seine dramatische Schlußfolgerung brachte die Fingerabdrücke an der M-16 eindeutig mit denen von Carl Lee Hailey in Verbindung. Anschließend kam der ballistische Experte vom Erkennungsdienst an die Reihe, und seine Aussage erwies sich als ebenso langweilig wie die des Vorgängers. Ja, die tödlichen Geschosse sind zweifellos aus der M-16 abgefeuert worden, die dort auf dem Tisch liegt; so lautete seine Meinung als Fachmann. Mit all den Karten, Schautafeln und Diagrammen benötigte Buckley sechzig Minuten, um der Jury diese Botschaft zu vermitteln. Jake bezeichnete so etwas als staatsanwaltschaftlichen Kahlschlag. Fast alle Ankläger litten an diesem Syndrom.
Die Verteidigung verzichtete darauf, den beiden Sachverständigen Fragen zu stellen. Um Viertel nach drei verabschiedete Noose die Geschworenen und verbot ihnen noch einmal, über den Fall zu sprechen. Sie nickten höflich, als sie den Saal verließen. Der Richter klopfte mit seinem Hammer und vertagte die Verhandlung auf den kommenden Morgen.
36
D ie große staatsbürgerliche Pflicht der Geschworenen verlor rasch ihren Reiz. Am zweiten Abend im Temple Inn wurden die Telefone entfernt – auf Anweisung des Richters. Man verteilte einige alte Zeitschriften aus der Bibliothek von Clanton, doch die Mitglieder der Jury legten sie schon nach kurzer Zeit beiseite. Niemand von ihnen interessierte sich für Publikationen wie The New Yorker, The Smithsonian oder Architectural Digest.
»Könnten Sie uns Ausgaben von Penthouse oder Playboy besorgen?« flüsterte Clyde Sisco dem Gerichtsdiener zu.
»Derzeit nicht«, erwiderte er.« Aber vielleicht morgen; mal sehen.«
Die Geschworenen saßen ohne Fernsehen, Zeitungen und Telefon in ihren Zimmern fest. Der einzige Zeitvertreib bestand darin, Karten zu spielen und über den Prozeß zu sprechen. Auch Ausflüge zum
Weitere Kostenlose Bücher