Die Jury
Uhr. Der Koch bewegte sich betont langsam, und Hinky gab ihm noch einen Zwanziger.
Der Prozeß brachte einen Geschäftsaufschwung mit sich, wie ihn Claude nie erträumt hätte. Frühstück und Mittagessen bei ihm wurden zu einem Ereignis, da die Nachfrage weit über die Anzahl der Stühle hinausging und Hungrige auf dem Bürgersteig Schlange standen, wo sie sich in schwüler Hitze einen Tisch erhofften. Nach der Mittagspause am Montag kaufte Claude alle Tische und Klappstühle, die er in Clanton finden konnte. Die Gänge im Restaurant verschwanden, und seinen Kellnerinnen blieb kaum mehr genug Platz, das Essen zu servieren. Fast alle Gäste waren schwarz.
Die Gespräche drehten sich natürlich hauptsächlich um den Prozeß. Am Mittwoch kritisierte man die Zusammensetzung der Jury. Am Donnerstag wiesen viele Leute darauf hin, wie wenig sie vom Bezirksstaatsanwalt hielten.
»Ich habe gehört, daß er bei den Gouverneurswahlen kandidieren möchte.«
»Ist er Demokrat oder Republikaner?«
»Demokrat.«
»Ohne die Stimmen der Schwarzen kann er in diesem Staat nicht gewählt werden.«
»Ja, und nach dem Verfahren wird er nicht viele bekommen.«
»Ich hoffe, daß er sich als Kandidat aufstellen läßt. Dann erteilen wir ihm eine Lektion, die er so schnell nicht vergißt.«
»Er verhält sich eher wie ein Republikaner.«
Vor dem Prozeß hatte in Clanton die Mittagspause zehn Minuten vor zwölf begonnen, wenn die jungen, hübschen, gut gekleideten Sekretärinnen der Banken, Anwaltskanzleien und Versicherungsgesellschaften ihre Schreibtische verließen und auf die Bürgersteige traten. Eine Stunde lang wanderten sie im Bereich des Stadtplatzes umher, besuchten die Post und erledigten ihre Bankangelegenheiten und Einkäufe. Die meisten von ihnen holten sich ihr Mittagessen aus dem Chinese Deli und aßen dann auf den Parkbänken, im Schatten der Bäume vor dem Gericht; dort trafen sie Bekannte und plauderten. Um zwölf Uhr lockte der Pavillon auf dem Rasen mehr attraktive Frauen an als der Miß-Mississippi-Schönheitswettbewerb. In Clanton eben galt das ungeschriebene Gesetz, daß die Pause der Sekretärinnen früher begann und daß sie erst um eins in die Büros zurückkehren mußten. Die Männer folgten ihnen jeweils um zwölf und beobachteten sie.
Doch der Prozeß veränderte alles. Die schattenspendenden Bäume am Gerichtsgebäude befanden sich nun in einem Kampfgebiet, und von elf bis eins füllten sich die Cafés mit Soldaten und Fremden, die im Verhandlungssaal keinen Platz fanden. Auch im chinesischen Restaurant gab es nicht einen einzigen freien Tisch. Die Sekretärinnen erledigten jetzt schnell ihre Einkäufe und aßen dann in den Büros.
Im Teashop diskutierten leitende Angestellte, Selbständige und angesehene Freiberufler über die Publicity-Aspekte des Prozesses und die Darstellung der Stadt in den Medien. Die Präsenz der Kluxer weckte Besorgnis in allen. Niemand kannte ein Mitglied des Ku-Klux-Klans, und im Norden von Mississippi war er schon seit langer Zeit nicht mehr aktiv geworden. Doch Reporter und Journalisten liebten die weißen Kutten, und auf der Grundlage ihrer Berichterstattung mußte man im Rest der Welt glauben, daß sich die Zentrale des Klans in Clanton befand.
Am Donnerstagmittag stand im Café folgendes auf der Speisekarte: gebratene Schweinekoteletts mit Kohlrabi, als Beilage entweder Süßkartoffeln oder gebackener Mais. Dell servierte die Spezialität des Hauses in einem überfüllten Speisesaal, den sich Stammgäste mit Fremden und Soldaten teilten. Nach wie vor galt die Regel, mit niemandem zu reden, der einen Bart oder einen sonderbaren Akzent hatte. Vielen Einheimischen fiel es schwer, diesen Grundsatz zu achten, denn sie waren von Natur aus freundlich und aufgeschlossen. Während der ersten Tage nach dem Doppelmord hatte man den Journalisten und anderen Besuchern einen herzlichen Empfang bereitet, doch jetzt begegnete man ihnen nur noch mit kühler Arroganz. Zu viele Pressefritzen verrieten ihre Gastgeber, indem sie unfaire, falsche und wenig schmeichelhafte Worte über Clanton und die Bürger der Stadt schrieben. Erstaunlich: Sie kamen in Rudeln aus allen Ecken des Landes, und innerhalb von nur vierundzwanzig Stunden wurden sie zu Experten für einen Ort, den sie nie zuvor gesehen hatten, für Menschen, denen sie zum erstenmal gegenübertraten.
Die Einheimischen beobachteten, wie sie gleich Narren auf dem Platz hin und her liefen, sich wie Kletten an die Fersen des Sheriffs
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