Die Jury
nicht auf Sie gezielt?«
»O nein, Sir. Er feuerte nur auf Cobb und Willard. Und er traf sie auch.«
»Wie verhielt er sich, als er schoß?«
»Er schrie, lachte wie ein Irrer und gab die seltsamsten Geräusche von sich, die ich jemals gehört habe – als sei er völlig übergeschnappt. Wissen Sie, eines werde ich nie vergessen: Während die Schüsse knallten und Querschläger hin und her sausten, während Cobb und Willard schrien... hörte ich ständig Lees irres Lachen.«
Jake mußte sich sehr beherrschen, um nicht zu lächeln. Looney und er hatten diese Aussage gründlich vorbereitet, und jetzt war sie perfekt. Der Deputy wählte genau die richtigen Worte. Brigance blätterte in seinem Block und schielte zu den Geschworenen hinüber. Sie alle starrten Looney an, fasziniert von den Schilderungen des Zeugen. Jake schrieb einige unwichtige Notizen, um einige Sekunden verstreichen zu lassen, bevor er einige der wichtigsten Fragen des ganzen Prozesses formulierte.
»Nun, Deputy Looney, eine der von Carl Lee Hailey abgefeuerten Kugeln bohrte sich Ihnen ins Bein, nicht wahr?«
»Ja, Sir, das stimmt.«
»Glauben Sie, daß Absicht dahintersteckte?«
»O nein, Sir. Es war ein Versehen.«
»Möchten Sie, daß Carl Lee dafür bestraft wird?«
»Nein, Sir. Ich bin nicht böse auf ihn. Ganz im Gegenteil – ich bewundere ihn.«
Buckley legte den Kugelschreiber beiseite und ließ die Schulter hängen. Kummervoll musterte er seinen Zeugen.
»Wie meinen Sie das?«
»Nun, ich mache ihm keine Vorwürfe. Die Typen vergewaltigten sein kleines Mädchen. Wenn jemand über meine Tochter herfiele, wäre er so gut wie tot. Auch ich würde den Schuldigen ins Jenseits schicken. Carl Lee hat eine Medaille verdient.«
»Möchten Sie, daß die Jury Carl Lee verurteilt?«
Buckley sprang auf. »Einspruch!« rief er. »Einspruch! Eine unzulässige Frage!«
»Nein!« donnerte Looney. »Ich möchte nicht, daß er verurteilt wird. Er ist ein Held. Er...«
»Geben Sie keine Antwort, Mr. Looney!« sagte Noose laut. »Antworten Sie nicht!«
»Einspruch! Einspruch!« fuhr Buckley fort und stand auf den Zehenspitzen.
»Er ist ein Held!« wandte sich Looney an den Bezirksstaatsanwalt. »Er sollte als freier Mann nach Hause geschickt werden!«
»Ruhe im Saal!« Noose klopfte mit dem Hammer.
Buckley und Looney schwiegen. Jake ging wieder zum Tisch der Verteidigung. »Ich ziehe die Frage zurück.«
»Schenken Sie ihr keine Beachtung«, wies der Richter die Geschworenen an.
Looney sah zur Jury, lächelte und humpelte zum Ausgang.
»Rufen Sie den nächsten Zeugen auf«, sagte Noose und nahm die Brille ab.
Buckley erhob sich langsam und bemühte sich um eine gewisse Dramatik. »Euer Ehren, die Staatsanwaltschaft beendet ihre Beweisführung.«
»Gut«, kommentierte der Richter und richtete den Blick auf Jake. »Ich nehme an, Sie möchten den einen oder anderen Antrag stellen, Mr. Brigance?«
»Ja, Euer Ehren.«
»Na schön. Wir sprechen in meinem Büro darüber.« Noose verabschiedete die Geschworenen mit der üblichen Ermahnung und vertagte die Verhandlung auf neun Uhr am Freitag morgen.
37
J ake erwachte in der Dunkelheit, mit einem leichten Kater und Kopfschmerzen, die er Erschöpfung und Coors verdankte. Wie aus weiter Ferne hörte er ein beharrliches Läuten an der Tür; ein sehr entschlossener Daumen schien den Klingelknopf zu betätigen. Im Nachthemd ging er zur Tür, öffnete und blinzelte, als er die beiden Gestalten auf der Veranda sah. Ozzie und Nesbit, teilte ihm sein Gedächtnis mit.
»Was liegt an?« fragte er. Die beiden Besucher folgten ihm in sein Arbeitszimmer.
»Man wird heute versuchen, Sie umzubringen«, sagte Ozzie.
Jake nahm auf der Couch Platz und massierte sich die Schläfen. »Dazu ist nicht mehr viel nötig.«
»Im Ernst. Jemand will Ihnen ans Leder.«
»Wer?«
»Der Klan.«
»Mickymaus?«
»Ja. Er rief gestern an und meinte, es sei etwas im Gange. Vor zwei Stunden meldete er sich noch einmal und teilte uns mit, man hätte es auf Sie abgesehen. Heute ist der große Tag. Zeit für ein wenig Aufregung. Heute morgen wird Stump Sisson in Loydsville begraben. Auge um Auge, Zahn um Zahn – so lautet die Devise der Kluxer.«
»Warum ich? Warum nicht Buckley, Noose oder jemand anderes, der den Tod weitaus mehr verdient hat als ich?«
»Wir bekamen keine Gelegenheit, darüber zu sprechen.«
»Welche Hinrichtungsmethode ist geplant?« fragte Jake. Es erfüllte ihn plötzlich mit Verlegenheit, im Nachthemd
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