Die Jury
er sich nicht von der Stelle und lauschte. Kein Hausmeister. Keine Schritte. Er ging durch den halbdunklen Flur zum Hintereingang und spähte durchs Fenster. Niemand zu sehen. Erneut horchte er, und schließlich war er davon überzeugt, allein im Gebäude zu sein. Er drehte sich um, und sein Blick schweifte durch den langen Korridor und durch die Rotunde bis zum sechzig Meter entfernten Vordereingang.
Er prägte sich die innere Struktur des Gerichtsgebäudes ein. Die beiden Flügel der Hintertür schwangen nach innen und führten zu einem großen, rechteckigen Raum. Rechts eine Treppe, links eine weitere. Ein Flur schloß sich an das erste Zimmer an. Carl Lee versetzte sich in die Lage eines Angeklagten. Er legte die Hände auf den Rücken, blieb einige Sekunden lang an der hinteren Tür stehen und wandte sich dann nach rechts. Nach neun Metern erreichte er die Treppe und ging zehn Stufen bis zu dem kleinen Absatz hoch. Anschließend neunzig Grad nach links – eine Bestätigung für Lesters Angaben. Noch einmal zehn Stufen bis zu dem Raum, in dem die Gefangenen auf das Verfahren warteten. Ein kleines Zimmer, sieben oder acht Quadratmeter groß, nur ein Fenster und zwei Türen. Carl Lee öffnete eine davon, betrat den Gerichtssaal und stand vor den langen Reihen gepolsterter Sitzbänke. Er wanderte zum Mittelgang und setzte sich auf die erste Bank. Weiter vorn bemerkte er ein Geländer: Es trennte das Publikum von dem Bereich, wo Richter, Geschworene, Zeugen, Anwälte, Angeklagte und Protokollführer ihre Plätze hatten.
Er schritt durch den Mittelgang zur rückwärtigen Tür, verharrte dort und sah sich aufmerksam um. Der Saal wirkte jetzt ganz anders als am Mittwoch. Nach einer Weile kehrte er ins kleine Nebenzimmer zurück und öffnete die zweite Tür. Durch sie gelangte er in den vorderen Teil des Saals, wo der Prozeß stattfand. Carl Lee ließ sich an dem langen Tisch nieder, hinter dem Lester, Cobb und Willard gesessen hatten. Rechts stand ein ähnlicher Tisch für die Staatsanwaltschaft; es folgten mehrere Holzstühle und das Geländer mit zwei Durchgängen an beiden Enden. Der Richter saß hoch und beeindruckend da und wandte den Rücken der Wand mit einem verblichenen Porträt von Jefferson Davis zu, der ernst und mit gerunzelter Stirn in den Saal blickte. Die Geschworenenbank befand sich weiter rechts, links vom Richter, unter den vergilbten Bildern einiger vergessener Konföderationshelden. Der Zeugenstand schloß sich direkt an den Richterstuhl an und ragte natürlich nicht ganz so in die Höhe. Links, der Geschworenenbank gegenüber, sah Carl Lee einen langen Schreibtisch, auf dem große rote Aktenordner lagen; sie enthielten Listen der anhängigen Rechtsfälle. Während des Verfahrens saßen dort Gerichtsschreiber und Anwälte. Jenseits der Wand befand sich das kleine Zimmer mit den beiden Türen.
Carl Lee stand so still, als trüge er Handschellen. Schließlich setzte er sich in Bewegung, ging langsam durch eine der Öffnungen im Geländer und betrat den kleinen Raum. Dann wandte er sich zur Treppe, zehn Stufen bis zum Absatz. Dort verharrte er. Von dieser Stelle aus konnte er die Hintertür des Gerichtsgebäudes und den größten Teil des Bereichs zwischen jenem Eingang und dem Flur sehen. Rechts neben dem unteren Ende der Treppe gab es eine andere Tür, sie gehörte zu einer Abstellkammer. Tonyas Vater schloß sie hinter sich und betrachtete Besen und Eimer. Dieser dunkle, staubige Raum wurde nur selten benutzt und reichte bis unter die Treppe. Carl Lee öffnete die Tür wieder und starrte über die Stufen hinweg.
Eine weitere Stunde lang durchstreifte er das Gebäude. Die zweite rückwärtige Treppe führte zu einem anderen kleinen Zimmer hinter der Geschworenenbank, und es wies ebenfalls zwei Türen auf: Durch eine erreichte man den Gerichtssaal, durch die andere den Beratungsraum der Jury. Die Treppe setzte sich bis zum zweiten Stock fort. Dort fand Carl Lee die Rechtsbibliothek der County und zwei Zeugenzimmer. Alles war genau so, wie es Lester beschrieben hatte.
Nach oben und unten, nach oben und unten – immer wieder beschritt er jenen Weg, den die beiden Vergewaltiger nehmen würden.
Dann setzte er sich in den Sessel des Richters und überschaute seine Domäne. Er saß auch auf einem bequemen Stuhl der Geschworenenbank, saß im Zeugenstand und blies ins Mikrofon. Draußen war es dunkel, als Carl Lee um sieben in der Toilette ein Fenster öffnete. Vorsichtig schlich er durchs Gebüsch
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