Die Jury
kein Kommentar?«
»Haben Sie mit Mr. Hailey gesprochen?« fragte ein anderer Reporter.
»Ja, vor einigen Minuten.«
»Wie geht es ihm?«
»Was meinen Sie damit?«
»Nun, äh, wie geht es ihm?«
»Möchten Sie wissen, was er davon hält, im Gefängnis zu sitzen?« Jake lächelte dünn.
»Äh, ja.«
»Kein Kommentar.«
»Wann findet die Voruntersuchung statt?«
»Wahrscheinlich morgen oder am Mittwoch.«
»Wird sich Mr. Hailey schuldig bekennen?«
Jake lächelte erneut. »Natürlich nicht.«
Nach dem Abendbrot saßen sie in der Hollywoodschaukel, beobachteten den Rasensprenger und sprachen über den Fall. Der Doppelmord machte überall Schlagzeilen, und Carla zeichnete so viele Nachrichtensend ungen wie möglich auf. Zwei Sender mit Redaktionen in Memphis berichteten live. Einige andere zeigten, wie Cobb und Willard ins Gericht geführt wurden; wenige Sekunden später trug man ihre Leichen unter weißen Laken nach draußen. Ein Sender schickte sogar das Rattern der automatischen Waffe durch den Äther, zusammen mit Bildern von erschrockenen Deputys, die im Treppenhaus hastig in Deckung gingen.
Jakes Interview war für die Abendnachrichten zu spät gewesen. Carla und er warteten bis um zehn, schalteten den Videorecorder ein und beobachteten seinen Auftritt. Er hielt die Aktentasche in der einen Hand und wirkte eindrucksvoll, selbstbewußt und auch ein wenig arrogant. Jake bewunderte sich im Fernsehen und genoß seine Show. Nach Lesters Freispruch war er ebenfalls auf der Mattscheibe erschienen, wenn auch nur für wenige Sekunden, und die Stammgäste im Café hatten ihn deshalb monatelang aufgezogen.
Er fühlte sich gut. Diese erste Publicity gefiel ihm, und er erwartete noch viel mehr. Er konnte sich keinen anderen Fall vorstellen, der ihn besser ins Rampenlicht rücken konnte als der Prozeß gegen Carl Lee Hailey. Ein Schwarzer, der die beiden weißen Vergewaltiger seiner Tochter erschossen hatte... Wenn er freigesprochen wurde, wenn ihn eine weiße Jury im ländlichen Mississippi für nicht schuldig befand...
»Warum lächelst du so?« fragte Carla.
»Aus keinem besonderen Grund.«
»Eine glatte Lüge. Du denkst an das Verfahren, an die Kameras und Reporter und den Freispruch. Du stellst dir vor, wie du das Gerichtsgebäude zusammen mit Carl Lee verläßt und ihm den Arm um die Schultern legst, während dir Dutzende von Journalisten folgen. Leute, die dir auf den Rücken klopfen, dich zu deinem Triumph beglückwünschen. Ich weiß genau, was dir durch den Kopf geht.«
»Weshalb fragst du dann?«
»Um festzustellen, ob du's zugibst.«
»Na schön, ich gebe es zu. Dieser Fall könnte mich berühmt machen und uns langfristig eine Million Dollar einbringen.«
»Wenn du ihn gewinnst.«
»Ja«
»Und wenn du ihn verlierst?«
»Ich gewinne.«
»Gehen wir einmal von der völlig abwegigen Annahme aus, daß du verlierst.«
»Denk positiv.«
Das Telefon klingelte. Jake sprach zehn Minuten lang mit dem Herausgeber, Redakteur und einzigem Reporter des Clanton Chronicle. Kurz darauf klingelte es erneut, und er beantwortete die Fragen eines Journalisten aus Memphis. Anschließend drückte er kurz auf die Gabel und rief erst Lester und Gwen an, dann den Vorarbeiter in der Papierfabrik.
Um Viertel nach elf läutete das Telefon noch einmal, und Jake hörte zum erstenmal, wie ihm eine anonyme Stimme mit dem Tod drohte. Man bezeichnete ihn als Niggerfreund und Hurensohn, der die Freilassung des Niggers nicht überleben würde.
9
A m Dienstagmorgen nach dem Doppelmord servierte Dell Perkins mehr Kaffee und Grütze als sonst. Alle Stammgäste und auch einige neue Kunden trafen früh ein, um die Zeitungen zu lesen und über das Verbrechen zu reden, das kaum hundert Meter vor der Tür des Cafés verübt worden war. Bei Claude und im Teashop ging es ebenfalls hektischer zu als an anderen Tagen. Jakes Foto prangte auf der Titelseite eines Tupelo-Blatts; die Zeitungen aus Memphis und Jackson brachten Bilder von Cobb und Willard, sowohl vor der Schießerei als auch nachher, als man ihre Leichen zu einem Krankenwagen trug. Aufnahmen von Carl Lee fehlten. Alle drei Zeitungen berichteten ausführlich über die letzten sechs Tage in Clanton.
Die meisten Bürger im Ort vermuteten, daß Carl Lee die Vergewaltiger seiner Tochter erschossen hatte, aber es kursierten auch Gerüchte über andere Schützen. An einem Tisch im Teashop erzählte man sich von mehreren Niggern, die bis an die Zähne bewaffnet ins Gerichtsgebäude
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