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Die Jury

Titel: Die Jury Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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wissen alle bis auf Henry. Armer Kerl. Irgendwann findet er's heraus, und dann haben Sie noch einen Mordfall.«
    »Können Sie mit Iris reden, Tank?«
    »Sie kommt nur selten in meinen Laden.«
    »Danach habe ich nicht gefragt. Ich brauche Lesters Telefonnummer in Chicago. Iris kennt sie bestimmt.«
    »Davon bin ich überzeugt. Ich glaube, er schickt ihr ab und zu Geld.«
    »Wären Sie bereit, mir die Nummer zu besorgen? Ich benötige sie, um mit Lester zu sprechen.«
    »Klar, Jake. Wenn Iris die Nummer hat, beschaffe ich sie Ihnen.«
    Bis zum Mittwoch normalisierte sich die Situation in Jakes Praxis. Klienten kamen und gingen. Ethel war besonders freundlich – beziehungsweise so freundlich, wie es eine notorische Meckerziege sein konnte. Jake ging seiner routinemäßigen Arbeit nach, doch die Wunde in ihm verheilte nicht. Er verzichtete darauf, im Café zu frühstücken und vermied auch, das Gerichtsgebäude zu betreten. Er schickte Ethel dorthin, um Anträge und dergleichen einzureichen. Noch immer fühlte er sich verlegen, beschämt und gedemütigt. Es fiel ihm schwer, sich auf andere Fälle zu konzentrieren. Zunächst spielte er mit dem Gedanken, einen längeren Urlaub zu machen, doch so etwas konnte er sich gar nicht leisten. Das Geld war knapp, und trotzdem fehlte ihm die Motivation zu harter Arbeit. Manchmal verbrachte er Stunden damit, durchs Fenster zu starren und das Gerichtsgebäude zu beobachten.
    Er dachte an Carl Lee, der einige Blocks entfernt in seiner Zelle saß. Tausendmal fragte er sich, warum sein früherer Mandant entschieden hatte, jemand anderen mit der Verteidigung zu beauftragen. Ich habe ganz einfach zu viel Geld verlangt und vergessen, daß es andere Anwälte gibt, die Carl Lee gratis vertreten würden. Er haßte Marscharfski und erinnerte sich an die Fernsehberichte über ihn: Stolz betrat oder verließ er die Gerichtssäle in Memphis, verkündete vor der Presse die Unschuld und unfaire Behandlung seiner armen, unterdrückten Klienten. Drogenhändler, Halunken, korrupte Politiker, aalglatte Typen aus den Chefetagen irgendwelcher Unternehmen. Alle schuldig. Alle verdienten lange Freiheitsstrafen oder sogar den Tod. Marscharfski war ein Yankee und sprach in einem abscheulichen, näselnden Tonfall – ein Akzent irgendwo aus dem Mittelwesten. Damit verärgerte er alle Leute südlich von Memphis. Ein guter Schauspieler aber. Er sah direkt in die Kamera und klagte: »Die Polizei von Memphis hat meinen Klienten auf gräßliche Weise mißhandelt.« Jake hatte solche Vorwürfe mehrmals von Marscharfski gehört. »Meinen Klienten trifft nicht die geringste Schuld. Ich finde es empörend, daß man ihn vor Gericht stellt. Er ist ein vorbildlicher Staatsbürger und Steuerzahler.« Und seine vier Vorstrafen wegen Erpressung? »Das FBI hängte ihm die Sache mit gefälschten Beweisen an. Wie dem auch sei: Er hat dafür gebüßt. Diesmal ist er unschuldig.« Jake verabscheute den berühmten Memphis-Anwalt; seines Wissens hatte er ebenso viele Fälle verloren wie gewonnen.
    Am Mittwochnachmittag war Marscharfski noch immer nicht in Clanton aufgetaucht. Ozzie versprach Jake, ihn sofort zu benachrichtigen, wenn Carl Lees neuer Verteidiger im Gefängnis erschien.
    Das Bezirksgericht tagte bis zum Freitag. Jake beschloß, Noose seinen Respekt zu erweisen und ihm zu erklären, warum er den Fall Hailey nicht mehr vertrat. Der Richter verhandelte eine zivilrechtliche Angelegenheit, was bedeutete, daß Buckley wahrscheinlich nicht zugegen war. Er konnte gar nicht zugegen sein, denn im Flur vor dem Saal horchte Jake vergeblich nach seiner Stimme.
    Für gewöhnlich ordnete Noose gegen halb vier eine kurze Pause an. Genau um fünfzehn Uhr dreißig betrat Jake das richterliche Büro durch eine Seitentür. Niemand hatte ihn gesehen. Geduldig saß er am Fenster und wartete darauf, daß Ichabod den Gerichtssaal verließ. Fünf Minuten später wankte Noose herein.
    »Oh, Jake, wie geht's Ihnen?« fragte er.
    »Gut, Richter. Haben Sie ein wenig Zeit für mich?« Brigance schloß die Tür.
    »Natürlich, setzen Sie sich. Was führt Sie hierher?« Noose streifte den Umhang ab, warf ihn über die Rückenlehne eines Stuhls und legte sich dann auf den Schreibtisch. Bücher, Akten und das Telefon fielen zu Boden. Die schlaksige Gestalt des Richters rutschte hin und her, dann faltete er die Hände auf dem Bauch, schloß die Augen und atmete tief durch. »Der Rücken, Jake. Mein Hausarzt hat mir geraten, so oft wie möglich auf

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