Die Juweleninsel
aber kein Mensch ist zu sehen. Sie ruft Annas Namen laut in die dunkle Nacht hinein – vergeblich. Da wird es ihr angst. Sie weckt uns Alle und erzählt uns, was geschehen ist. Wir bewaffnen uns, ergreifen die Laternen, lassen die Hunde los und suchen nach beiden Seiten von der Mühle aus die Schlucht ab – – ich habe Anna nie wieder gesehen!«
»Mein Gott, ist so etwas möglich?«
»Nicht nur möglich, sondern sogar wirklich. Die ganze Gegend wurde allarmirt; die Polizei gab sich alle erdenkliche Mühe; es wurde jeder Zoll breit der Umgebung meiner Mühle nach Spuren abgesucht, es wurde in jeder nur erdenklichen Weise nach der Verschwundenen geforscht und gefahndet – sie ist nicht gefunden worden, sie ist verloren geblieben.«
»Aber Ihre Vermuthungen – –?«
»Konnten zu nichts führen, da ich nicht einmal Namen nennen durfte.«
»Warum nicht?«
»Was hätten mir die Herren geantwortet, wenn ich behauptet hätte, daß der tolle Prinz meine Tochter geraubt habe?«
»Der tolle Prinz? Ah, er ist wirklich der Einzige, dem ein solcher Streich zuzutrauen ist. Aber gegen solche Herren läßt sich nur dann vorgehen, wenn die klarsten Beweise oder die unumstößlichsten Verdachtsgründe vorliegen. War er zur Zeit, als Ihre Tochter verschwand, auf Himmelstein anwesend?«
»Nein. Das war auch nicht nothwendig. Sie ist ihm nachgeschafft worden.«
»Wir er während der ersten beiden Versuche auf Himmelstein?«
»Ja.«
»Haben Sie Forschungen angestellt nach der Richtung Ihres Verdachtes hin?«
»Die erdenklichsten. Auch Walther hat Alles aufgeboten, leider aber scheint er im Stillen seine Meinung über diese traurige Begegenheit vollständig geändert zu haben.«
»Was sollte er meinen?«
»Daß Anna mit einem heimlichen Anbeter ganz freiwillig davongegangen ist. Es gibt ja für die Wahrheit meiner Angaben keine anderen Beweise als allein mein Wort.«
»Und dem ist natürlich unbedingter Glauben zu schenken. Wäre ich ein Kriminalist, so würde ich der Aufklärung dieses Geheimnisses sicherlich meine ganze Zeit widmen.«
»Würde wohl ebenso vergeblich sein wie Alles, was bisher geschehen ist. Lassen Sie uns also davon abbrechen. Es ist nicht gut, in solchen Wunden herum zu wühlen!«
Er erhob sich und verließ die Laube, um in den Gängen des Gartens zu verschwinden. Kurt blieb noch lange sitzen. Er mußte bei dem Allen unwillkürlich an die Schwester seines Freundes Karl von Mylungen denken, welche auch verschwunden war, allerdings höchst wahrscheinlich in Uebereinstimmung mit dem Prinzen. Dieser Gedanke blieb ihm während des ganzen Abends treu und begleitete ihn auch bis in das Zimmer, welches er später aufsuchte, als Alle außer den beiden Knappen den Schlaf gesucht hatten.
Es war ein wunderbar schöner Sommerabend. Der Mond, welcher bereits während des Tages seinen Lauf begonnen hatte, neigte sich zum Horizonte nieder und überschüttete die einstige Raubveste mit seinem magischen Lichte; das Heer der Sterne flimmerte an dem tiefblauen Himmelszelte, und aus dem Garten drang der süße Duft der Reseda herauf zum geöffneten Fenster, an welchem Kurt lehnte, um die Wunder der Nacht zu genießen.
Unten rauschte das Wasser und klapperten die Räder so ruhelos, wie die Gedanken im Kopfe des Jünglings, welchen es nicht gelingen wollte, von den beiden verschwundenen Mädchen loszukommen. Er war so munter, als sei er erst aus dem stärkenden Schlafe erwacht, die Schönheit des Abends zog ihn hinaus, und so beschloß er, die Mühle zu verlassen und einen Spaziergang nach dem Berge zu unternehmen.
Er stieg wieder zur Treppe hinab und trat zunächst in die Mühle, in welcher Klaus und Brendel soeben neues Getreide aufgeschüttet hatten.
»Noch nicht schlafen, junger Herr?« frug Klaus, indem seine Nase eine Bewegung machte, die ihre sehr große Verwunderung andeutete darüber, daß man so lange wach bleiben könne, ohne eine nothwendige Beschäftigung zu haben.
»Noch nicht; die Nacht ist ja zu schön, als daß man schlafen könnte.«
»Hm, ich meine aber, daß die Nacht gerade sehr schön zum Schlafen sei, denn dazu ist sie ja da, das versteht sich ja ganz von selber!«
»Eine so poetische Nacht muß man genießen, lieber Klaus.«
»Und zwar im poetischen Bette, mein lieber junger Herr. Nicht wahr, Brendel?«
»Natürlich! ich wollte, ich könnte schlafen, denn in wie fern denn und in wie so denn, weil es in der ganzen Welt nichts Besseres gibt als das Bischen Ruhe, welches man braucht, wenn
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