Die Juweleninsel
welchem er lag. Wäre ein guter Anlauf möglich gewesen, so hätte er den Graben überspringen und sie sicher erreichen können, und dann wäre es ein Leichtes gewesen, auf ihrem oberen, mit breiten Platten belegten Rande rings um den Hof herum nach dem Gärtchen zu gelangen, welches so nahe lag, daß er ganz deutlich ein leises Räuspern hörte, nach welchem die Unbekannte eine Melodie halblaut vor sich hinsummte.
Die Weise kam ihm bekannt vor. Er lauschte. Bereits beim zweiten Verse verstand er die Worte, welche der Melodie untergelegt waren:
»Da ich zuerst empfunden,
Daß Liebe brechen mag,
War mirs als sei verschwunden
Die Sonn’ am hellen Tag.
Es klang das Wort so traurig gar,
Fahr wohl, fahr wohl auf immerdar,
Da ich zuerst empfunden
Daß Liebe brechen mag.«
Dieser Text und die furchtsame vorsichtige Art und Weise, in welcher er mehr gesummt als gesungen wurde, machten in Kurt die Vorstellung lebendig, daß er es hier wirklich mit einer Person zu thun habe, die sich in irgend einer hilfsbedürftigen Lage befinde. Er hörte weiter:
»Mein Frühling ging zur Rüste,
Ich weiß gar wohl warum.
Die Lippe, die mich küßte,
Ist worden für mich stumm.
Das eine Wort nur sprach sie klar:
›Fahr wohl, fahr wohl auf immerdar!‹
Mein Frühling ging zur Rüste,
Ich weiß gar wohl, warum.«
Im Gärtchen war sie allein; das sah Kurt; aber befand sich nicht vielleicht Jemand in der Nähe? Er wagte es. Ohne seine Gestalt zu zeigen, sang er halblaut, so daß sie es nur eben verstehen konnte, die erste Strophe dieses Liedes, welches ihm schon längst bekannt war:
»Wenn sich zwei Herzen Scheiden,
Die sich dereinst geliebt,
Das ist ein großes Leiden,
Wies größer keines gibt.
Es klingt das Wort so traurig gar:
Fahr wohl, fahr wohl auf immerdar!
Wenn sich zwei Herzen Scheiden,
Die sich dereinst geliebt.«
Gleich als er begonnen hatte, war sie von der Bank empor gesprungen und hatte sich nach dem Orte umgesehen, von welchem die Töne kamen. Jetzt erhob er sich aus seiner liegenden Stellung.
Der Mond beleuchtete ihn, sie konnte ihn sehen.
Da legte sie beide Hände zusammen und hob sie bittend über den Kopf empor.
»Hilfe!«
Es war kein Ruf, denn sie durfte nicht laut sprechen; daher war dieses Wort mehr ein Flüstern in die Ferne, als ein Schrei, aber Kurt verstand es ganz deutlich. Aus Sorge, er möchte laut antworten, winkte sie warnend nach dem Burggebäude zu. Er wußte, was sie meinte, aber er mußte ihr wenigstens ein Wort sagen:»Morgen!«
Er raunte es zu ihr hinüber. Sie nickte; sie hatte ihn verstanden. Nur noch einige Augenblicke blieb sie stehen; dann verschwand sie aus dem Garten, und er sah sie über den hintern Hof nach dem Gebäude gehen.
»Sollte dies Anna sein?« frug er sich. »Unmöglich. Das wäre ja längst verrathen. Es ist eine Andere, die hier aus irgend einem Grunde festgehalten wird. Ich werde ihr helfen, ohne daß der Müller etwas davon erfährt.«
Er machte sich zum Rückzuge bereit. Da fiel sein Blick hinab auf das Mönchskloster. Im Garten des Klosters hart an der oberen Mauer desselben, da wo die Gräber lagen, standen zwei Mönche. Der eine hackte und der andere trug etwas im Arme. Das sah so verdächtig, so sonderbar aus, oder kam dem Kadetten so interessant und romantisch vor, daß er so schnell wie möglich an dem gefährlichen Felsen herabstieg, und zwar an der dunklen Seite desselben, und dann über das wild liegende Land und durch allerlei Gestrüpp gerade auf die Stelle der Klostermauer zueilte, hinter welcher sich die Mönche befanden. Diese wußten sich ganz unbeobachtet und allein. Sie hatten also auch keine Veranlassung, ihre Stimmen übermäßig zu dämpfen, und sprachen daher so laut mit einander, daß Kurt jedes ihrer Worte zu verstehen vermochte.
»Das wievielte?«
»Das fünfte in diesem Jahre.«
»Fruchtbares Land.«
»Hahaha! Wenn es gut bebaut wird. Ist das tief genug?«
»Nein. Zwei Ellen müssen es sein. Man muß auch mit solchen Kleinigkeiten so sicher wie möglich gehen. Es können leicht Umstände eintreten, die es – –«
»Pah, welche Umstände sollen dies sein? Es handelt sich hier nur um die überflüssige Arbeit, welche man uns verursacht. Die frommen Mütter könnten doch darauf bedacht sein, solche Ueberflüssigkeiten möglichst selbst zu beseitigen.«
»Sie haben ja keinen Kirchhof!«
»Muß es ein Kirchhof sein? Eine Grube, ein Feuer thut es ebenso. Möchte aber doch wissen, welcher von den Schwestern
Weitere Kostenlose Bücher