Die Kälte Des Feuers
…
Holly bebte am ganzen Leib, aber sie trat nicht zurück, preßte die Hand weiterhin an den kalten, leuchtenden Kalkstein.
Sie fragte sich, ob die entsetzlichen Visionen vom Freund stammten.
»Warum wird dein Erscheinen von läutenden Glocken angekündigt?«
»Um Himmels willen, Holly …« Jim brach ab, fügte dann hinzu: »He, das Wesen antwortet.«
Mit Willenskraft konnte man also etwas ausrichten. Aber warum? Warum sollte sich ein mächtiges Geschöpf aus einer anderen Galaxis von meiner Entschlossenheit beeinflussen lassen? dachte Holly.
Jim las laut vor: »Hier steht… >Um zu beeindrucken?<«
»Wie bitte?« entfuhr es Holly.
»U-M Z-U B-E-E-I-N-D-R-U-C-K-E-N, gefolgt von einem Fragezeichen.«
Holly wandte sich an das Etwas in der Wand. »Soll das heißen, das Klimpern erfüllt nur den Zweck, Eindruck zu schinden, deinem Erscheinen eine dramatische Note zu geben?«
Nach einigen Sekunden sagte Jim: »Keine Antwort.«
»Und warum das Fragezeichen?« Hollys Worte galten noch immer dem Freund. »Weißt du nicht, was die Glocken bedeuten, woher das Läuten stammt und was die Ursache dafür ist? Äußerst du mit >um zu beeindrucken?< nur eine Vermutung? Wie kann dir ein Geräusch rätselhaft sein, das dich immer begleitet?«
»Nichts«, meinte Jim.
Holly starrte an die Wand. Das hellte Wirbeln und Wogen verwirrte sie immer mehr, aber sie verzichtete darauf, die Augen zu schließen.
»Eine neue Botschaft«, sagte Jim. »>Ich gehe.<«
»Feigling«, flüsterte Holly dem amorphen Etwas im Kalkstein zu. Kalter Schweiß klebte an ihrem Leib.
Das bernsteinfarbene Glühen wurde dunkler, gewann eine orangefarbene Tönung.
Holly trat von der Wand fort, taumelte und wäre fast gefallen. Sie kehrte zu den Schlafsäcken zurück und sank auf die Knie.
Neue Worte bildeten sich auf dem Block. ICH KEHRE ZURÜCK.
»Wann?« fragte Jim.
WENN DIE GEZEITEN MIR GEHÖREN.
»Welche Gezeiten?«
ES GIBT GEZEITEN IM RAUMSCHIFF, EBBE UND FLUT, DUNKELHEIT UND LICHT. ICH STEIGE MIT DEM LICHT AUF, DOCH ER KOMMT MIT DER DUNKELHEIT.
»Er?« wiederholte Holly.
DER FEIND.
Das Licht in den Wänden war jetzt eine Mischung aus roten und orangefarbenen Tönen. Es trübte sich weiter und formte dabei neue Muster.
»Du hast einen Begleiter im Schiff?«
JA. ZWEI KRÄFTE. ZWEI WESENHEITEN.
Das Wesen lügt wieder, dachte Holly. Es ist wie mit dem Rest der Geschichte und den Glocken - reines Theater.
WARTET AUF MEINE RÜCKKEHR.
»Wir warten«, versprach Jim.
SCHLAFT NICHT.
»Warum sollen wir nicht schlafen?« fragte Holly und ging damit auf das Etwas ein.
VIELLEICHT TRÄUMT IHR.
Die Seite war voll. Jim riß das Blatt ab und legte es zu den anderen.
Blutrotes Licht in den Wänden. Und es verblaßte rasch.
TRÄUME SIND TORE.
»Was soll das heißen?«
Die gleichen drei Worte: TRÄUME SIND TORE.
»Eine Warnung«, hauchte Jim.
TRÄUME SIND TORE.
Nein, dachte Holly. Es ist keine Warnung, sondern eine Drohung.
7
Die Windmühle war wieder nur eine Windmühle. Steine und Dielen. Mörtel und Nägel. Dichter Staub, vermoderndes Holz, rostendes Eisen, Spinnen, die in dunklen Ecken lauerten. Holly saß im Schneidersitz vor Jim, und ihre Knie stießen aneinander. Sie hielt seine Hände; einerseits gab ihr die Berührung dringend benötigte Kraft, und andererseits wollte sie mit dieser Geste verhindern, daß er sich durch ihre nächsten Worte beleidigt fühlte.
»Hör mir gut zu, Jim. Du bist der interessanteste, faszinierendste und, tief in deinem Herzen, auch der sanfteste Mann, den ich jemals kennengelernt habe. Aber als Interviewer gibst du nicht viel her. Deine Fragen sind zum größten Teil nicht gut überlegt. Du kommst nicht auf den Kern der Sache, sondern kratzt nur an der Oberfläche und hältst dich mit Nebensächlichkeiten auf. Dadurch bekommst du keine wichtigen Antworten. Außerdem bist du als Reporter naiv genug, um zu glauben, daß deine Gesprächspartner immer ehrlich sind, obwohl sie meistens jede Möglichkeit nutzen, Fragen auszuweichen. Du mußt beharrlich sein, bohren, der Sache auf den Grund gehen.«
Jim wirkte nicht beleidigt. Er lächelte und erwiderte: »Ich sehe mich nicht als Reporter, der ein Interview führt.«
»Aber mit einer solchen Situation hatten wir es zu nun, mein Lieber. Der Freund, wie er sich selbst nennt, verfügt über Informationen, die wir brauchen, um zu wissen, woran wir sind, um unseren Job zu erledigen.«
»Ich habe es mir eher … als eine Art … göttliche Offenbarung
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