Die Kälte Des Feuers
es mir Antworten gibt, die wahr klingen …, dann respektiere ich es vielleicht auch aus anderen Gründen.«
»Du wirst langsam seltsam«, sagte Jim.
»Ich?«
»Du bist so feindselig.«
»Bin ich nicht.«
Jim musterte sie und runzelte die Stirn. »Für mich sieht es ganz nach blinder Feindseligkeit aus.«
»Aggressiver Journalismus. Das Prinzip eines jeden modernen Reporters. Man befragt den Interviewpartner nicht, um ihn später den Lesern zu präsentieren man greift ihn an. Derartige Journalisten haben bereits eine eigene Version der Wahrheit, die sie ungeachtet der vollen Wahrheit berichten wollen, und sie suchen nach Informationen, die ihre Perspektive bestätigen. Ich halte nichts davon und bin nie bereit gewesen, solche Methoden zu benutzen, und aus diesem Grund habe ich gute Stories und Beförderungen immer an Kollegen verloren. Aber heute nacht bin ich fest entschlossen, zum Angriff überzugehen. Es gibt allerdings einen großen Unterschied: Mir liegt etwas an der Wahrheit; ich will sie nicht verdrehen und meinen eigenen Bedürfnissen anpassen. Es geht mir darum, einige hieb- und stichfeste Fakten von deinem Außerirdischen zu bekommen.«
»Vielleicht kehrt er nicht zurück.«
»Er hat es versprochen.«
Jim schüttelte den Kopf. »Warum sollte er sein Versprechen halten, solange ihn hier journalistischer Zorn erwartet?«
»Hältst du es etwa für möglich, daß er mich fürchtet ? Was für eine Art von höherer Macht wäre das?«
Die Glocken läuteten, und Holly zuckte heftig zusammen.
Jim erhob sich. »Sei ganz ruhig.«
Das Klimpern verstummte, ertönte erneut, verklang wieder. Beim dritten Läuten erschien ein dunkelrotes Glühen an einer Stelle der Wand. Er wurde heller, gewann einen orangefarbenen Ton und wuchs schlagartig, wie ein plötzliches Feuerwerk, über die ganze gewölbte Fläche. Das Klingeln wich neuerlicher Stille, und die Myriaden Funken verschmolzen zu den pulsierenden, amöbenhaften Formen, die Holly bereits kannte.
»Sehr effektvoll«, sagte sie. Das Licht verfärbte sich, und als es zu einem bernsteinfarbenen Glühen wurde, ergriff Holly die Initiative. »Wir möchten dich bitten, nicht mehr umständliche schriftliche Antworten zu geben, sondern direkt zu uns zu sprechen.«
Der Freund schwieg.
»Bist du bereit, zu uns zu sprechen?«
Keine Reaktion.
Holly sah auf den Block und las die erste Frage. »Bist du die höhere Macht, die Jim mit Rettungsmissionen beauftragt hat?«
Sie wartete.
Stille.
Sie versuchte es erneut.
Stille.
Hartnäckig wiederholte sie die Frage.
Der Freund blieb weiterhin stumm. Dafür meldete sich Jim. »Holly, sieh dir das an.«
Sie drehte sich um und beobachtete, wie er verdutzt auf seinen Schreibblock starrte. Er zeigte ihn ihr und blätterte durch die ersten zehn oder zwölf Seiten. Das gespenstische, wechselhafte Licht von den Wänden war hell genug, um die Schrift des Freundes zu erkennen. Holly nahm den Block entgegen und las die erste Zeile: JA. ICH BIN DIE MACHT.
»Er hat bereits alle von uns vorbereiteten Fragen beantwortet«, sagte Jim.
Holly warf den Block durchs Zimmer. Er prallte ans Fenster auf der anderen Seite, ohne die Scheibe zu zerbrechen, und fiel dann zu Boden.
»Holly, jetzt gehst du zu …«
Sie unterbrach Jim mit einem scharfen Blick.
Das Licht tanzte etwas schneller durch den verwandelten Stein.
Holly wandte sich an den Freund. »Gott gab Moses die Zehn Gebote auf Steintafeln, ja, aber er hatte auch den Mumm, direkt zu ihm zu sprechen. Wenn sich Gott dazu herablassen kann, mit Menschen zur reden, so solltest du ebenfalls dazu in der Lage sein.«
Als der Freund schwieg, wiederholte sie die erste Frage auf der Liste. »Bist du die höhere Macht, die Jim mit Rettungsmissionen beauftragt hat?«
»Ja. Ich bin die Macht.« Die Stimme war ein weicher, wohltönender Bariton, und sie schien von allen Seiten zu erklingen, so wie das Läuten der Glocken. Der Freund schob sich nicht in menschlicher Gestalt aus der Wand, bildete auch kein Gesicht im Kalkstein; seine Stimme kam aus leerer Luft.
Holly stellte die zweite Frage auf der Liste. »Woher weißt du, daß den entsprechenden Personen der Tod droht?«
»Ich bin eine Wesenheit, die in allen Aspekten der Zeit lebt.«
»Was meinst du damit?«
»Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.«
»Kannst du in die Zukunft sehen?«
»Ich lebe in der Zukunft, ebenso wie in Vergangenheit und Gegenwart.«
Das Licht in den Wänden funkelte sanfter, als hätte das Wesen die neuen
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