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Die Kälte Des Feuers

Die Kälte Des Feuers

Titel: Die Kälte Des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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sich.
    Der Feind hatte sich zurückgezogen.
    Aber er war nicht ganz fort, er gab ihr nur eine Gnadenfrist.
    Der Gedenkpark von New Svenborg erstreckte sich neben den Tivoli-Gärten. Ein schmiedeeiserner Speerspitzenzaun trennte den Friedhof vom Park, und mehrere Zedern und Pfeffersträucher erweiterten die Barriere.
    Jim ließ den Ford langsam über die Zufahrt rollen. »Hier«, sagte er schließlich und hielt.
    Als er ausstieg, fühlte er fast die gleiche Platzangst wie in der Apotheke, obgleich er jetzt im Freien stand. Der schiefergraue Himmel schien sich den Grabsteinen entgegenzusenken, während die rechteckigen und quadratischen Tafeln wie uralte Knochen aussahen, die aus dem Boden ragten. Das trübe Licht verlieh dem Gras eine graugrüne Tönung. Das galt auch für die Bäume, die den Eindruck erweckten, als könnten sie jederzeit umstürzen und Jim unter sich zermalmen.
    Er ging um den Wagen herum, verharrte neben Holly und deutete nach Norden. »Dort.«
    Sie nahm seine Hand, und er war ihr dankbar dafür.
    Seite an Seite wanderten sie zum Grab seiner Großeltern. Es befand sich auf einer kleinen Anhöhe des ansonsten flachen Friedhofs. Ein einzelner breiter Gedenkstein aus Granit erhob sich hinter den beiden Grabstellen.
    Jims Herz pochte heftiger, und das Schlucken fiel ihm schwer.
    Er las den rechts eingemeißelten Namen: LENA LOUISE IRONHEART.
    Widerstrebend sah er auf Geburts- und Todesdatum. Sie war als Dreiundfünfzigjährige gestorben. Vor vierundzwanzig Jahren.
    So mußte man sich nach einer Gehirnwäsche fühlen, nach einer umfassenden Manipulation des Gedächtnisses, wenn man feststellte, daß bestimmte Erinnerungen nicht den Tatsachen entsprachen. Die eigene Vergangenheit erschien Jim wie eine nebelumhüllte Landschaft, nur erhellt vom gespenstischen und wechselhaften Licht eines Mondes, der immer wieder hinter dichten Wolken verschwand. Plötzlich konnte er nicht mehr so deutlich wie noch vor einer Stunde über die Kluft der Jahre blicken - und er zweifelte an jener Realität, die sich ihm mit klar erkennbaren Einzelheiten darbot. Vielleicht stellten sich die deutlichen Reminiszenzen als von Dunst und Schatten geformte Trugbilder heraus, wenn er gezwungen wurde, sie aus der Nähe zu betrachten.
    Desorientiert und voller Furcht hielt er Hollys Hand.
    »Warum hast du mich belogen?« fragte sie sanft. »Warum hast du behauptet, deine Großmutter sei erst vor fünf Jahren gestorben?«
    »Ich habe nicht gelogen. Zumindest nicht… bewußt.« Jim starrte so auf den Granit, als sei seine geschliffene Oberfläche ein Fenster in die Vergangenheit. Er versuchte, sich zu erinnern. »Ich entsinne mich daran, daß ich eines Morgens erwachte und von Lenas Tod wußte. Vor fünf Jahren. Ich wohnte damals in einem Apartment, unten in Irvine.« Er lauschte seiner eigenen Stimme, als gehöre sie einem anderen Menschen, und der hohle, dumpfe Klang ließ ihn schaudern. »Ich zog mich an … fuhr nach Norden … kaufte Blumen im Ort… kam hierher …«
    Nach einer Weile, als Jim weiterhin schwieg, fragte Holly: »Fand an jenem Tag ein Begräbnis statt?«
    »Nein.«
    »Waren Trauergäste zugegen?«
    »Nein.«
    »Lagen frische Blumen auf dem Grab?«
    »Nein. Ich erinnere mich nur daran, daß ich … vor dem Grabstein nieder kniete, mit den gekauften Blumen …, daß ich weinte … Ich habe ziemlich lange geweint, konnte die Tränen nicht zurückhalten.«
    Bilder entstanden vor Jims innerem Auge: Personen, die zu anderen Gräbern gingen und ihn beobachteten, erst mit Anteilnahme, dann voller Verlegenheit, als ihnen das Ausmaß seines Kummers klar wurde, dann voller Unbehagen, als sie ein so intensives Leid an ihm sahen, daß man ihn für geistesgestört halten konnte. Er entsann sich an den emotionalen Orkan in seinem Innern, daran, daß er die mitfühlenden Blicke voller Zorn erwidert hatte. Er sehnte sich danach, den Boden aufzureißen und hineinzukriechen, ihn über sich wie eine Decke zuzuziehen, in dem gleichen Grab zu ruhen wie seine Großmutter. Aber er wußte nicht, warum er auf diese Weise empfunden hatte, weshalb nun ähnliche Gefühle in ihm entstanden.
    Noch einmal sah er auf das Todesdatum - 25. September -, und jähe Angst schnürte ihm die Kehle zu.
    »Was ist los?« Holly musterte ihn besorgt. »Sag es mir.«
    »An jenem Tag kam ich mit den Blumen hierher, als ich morgens erwachte und wußte, daß meine Großmutter tot war. Am fünfundzwanzigsten September. Aber vor fünf Jahren, nicht vor

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