Die Kälte Des Feuers
sah nur ein dunkles Oval dort, wo er das Gesicht vermutete, als sich der Mörder umdrehte und feuerte. Die Kugel traf einen Wandschrank links von Ironheart; Holz- und Kunststoffsplitter regneten auf ihn herab.
Er wußte nicht, wo die Frau und das Kind eingesperrt waren, und fürchtete, sie zu verletzen
- eine Schrotflinte war keine besonders präzise Waffe.
Der Killer schoß erneut. Die zweite Kugel sauste so dicht an Jim vorbei, daß er einen heißen Windzug spürte, einem feurigen Kuß auf die rechte Wange gleich.
Er drückte ab, und es krachte so laut, daß die dünnen Wände um ihn herum erzitterten. Der Typ mit dem Pferdeschwanz schrie und stieß an die Küchenspüle. Aus einem Reflex heraus krümmte Jim den Zeigefinger noch einmal um den Abzug, und das neuerliche Donnern zerriß ihm fast das Trommelfell. Der Killer wurde von den Beinen gerissen und nach hinten an die Rückwand geschleudert. Neben einer geschlossenen Tür, die den Wohnbereich vom Schlafzimmer trennte, sank er zu Boden.
Jim holte einige Patronen aus der Tasche und lud die Schrotflinte nach. Langsam setzte er einen Fuß vor den anderen und schlich an einem alten, verbeulten Sofa vorbei.
Er wußte, daß der Mann tot war, aber in dem Halbdunkel konnte er nicht gut genug sehen, um ganz sicher zu sein. Lichtschäfte der Mohavesonne ragten wie heiße Brandeisen durch die Windschutzscheibe und die offenen Türen, aber die dicken Vorhänge an den Seitenfenstern sorgten dafür, daß der hintere Bereich des Roadking im Schatten blieb. Von den Schüssen stammender beißender Rauch zog in trägen Schwaden umher.
Ironheart erreichte das Ende der schmalen Kammer, blickte nach unten und zweifelte nicht mehr daran, daß der auf dem Boden liegende Mann sein Leben ausgehaucht hatte. Menschlicher Müll, eben noch lebendig, jetzt tot. Blutiger Müll.
Als Jim die halbzerfetzte Leiche sah, spürte er eine wilde Ekstase, eine wütende Genugtuung, die ihn sowohl faszinierte als auch erschreckte. Er wollte angesichts seines eigenen Verhaltens Abscheu empfinden, aber obwohl der Mörder den Tod verdient hatte, fühlte er sich keineswegs davon abgestoßen - obgleich ihm bei dem entsetzlichen Anblick übel wurde. Die Begegnung konfrontierte ihn mit dem absoluten Bösen in menschlicher Form. Eigentlich hätten beide Männer ganz langsam und unter Qualen sterben sollen. Jim sah sich in der Rolle eines Racheengels, der mit heiligem Zorn Vergeltung übte. Er ahnte zumindest, daß er selbst am Rande einer Psychose wandelte - nur Verrückte glaubten, auch dann im Recht zu sein, wenn sie zerstörten und töteten -, aber er horchte vergeblich nach einer inneren Stimme, die Zweifel äußerte. Das Brodeln in ihm nahm so sehr zu, als sei er Gottes Sendbote, der direkt den apokalyptischen Zorn des Allmächtigen weiterleitete.
Er wandte sich der geschlossenen Tür zu.
Dahinter lag das Schlafzimmer.
Dort mußten die Mutter und das Kind gefangen sein.
Lisa … Susie …
Aber wer sonst noch?
Für gewöhnlich blieben soziopathische Killer allein, aber manchmal wählten sie einen Gefährten, so wie in diesem Fall. Größere Gruppen waren sehr selten. Jim dachte an Charles Manson und seine >Familie<, und es gab auch andere Beispiele. Er mußte mit allem rechnen. Immerhin hatte er es mit einer Welt zu tun, in der angeblich, wie moderne Philosophieprofessoren lehrten, Ethik ganz von den Umständen abhing; die Einstellungen einer jeder Person seien prinzipiell richtig und müßten daher respektiert werden - ungeachtet ihrer Logik und des Haßquotienten. Es handelte sich um eine Welt, die Ungeheuer schuf, und vielleicht bekam es Ironheart in diesem Fall mit einer Hydra zu tun.
Die Situation verlangte nach Vorsicht, aber der gerechte Zorn in ihm war so stark, daß er ihm ein Gefühl der Unverwundbarkeit gab. Er trat zur Schlafzimmertür, stieß sie auf und schob sich durch den kleinen Zugang. Er wußte, daß er ein erhebliches Risiko einging, aber er scherte sich nicht darum und hob die Schrotflinte, bereit, zu töten und getötet zu werden.
Abgesehen von der Frau und dem Kind befand sich niemand im Zimmer. Sie lagen auf dem schmutzigen Bett, mit festem Klebeband an Händen und Füßen gefesselt. Und geknebelt.
Die Frau - Lisa - war etwa dreißig, schlank, blond und ungewöhnlich attraktiv. Doch die Tochter Susie erwies sich als noch weitaus schöner, wirkte wie gestaltgewordene Anmut. Sie mochte etwa zehn sein, hatte glänzende grüne Augen, zarte, sanfte Züge und eine Haut,
Weitere Kostenlose Bücher