Die Kälte Des Feuers
Harley-Davidson festgebunden war: eine FXRS-SP, 1340 Kubikzentimeter Hubraum, ein Vergaser, V-II-Motor mit jeweils zwei Ventilen. Das Getriebe wies fünf Gänge auf, und zur Kraftübertragung diente nicht etwa eine geschmierte Kette, sondern ein breiter Riemen. Jim hatte schon bessere und stärkere Maschinen gefahren. Bei diesem Motorrad handelte es sich um ein Standardmodell, aber ihm kam es in erster Linie auf Geschwindigkeit und einfache Handhabung an, und die SP erfüllte beide Voraussetzungen, wenn sie in einem guten Zustand war.
Als Ironheart die Harley aus dem Gestell zog und überprüfte, trat Lisa besorgt näher. »Sie bietet nicht für uns alle Platz.«
»Nein«, bestätigte er. »Nur für mich.«
»Bitte lassen Sie uns nicht allein.«
»Jemand hält an, bevor ich aufbreche.« Ein Wagen rollte über die Straße, und die drei Insassen machten große Augen. Der Fahrer beschleunigte.
»Bestimmt fahren sie alle weiter«, sagte Lisa niedergeschlagen.
»Da irren Sie sich. Ich warte, bis jemand hält.«
Die Frau schwieg einige Sekunden lang. Dann: »Ich möchte nicht mit Fremden unterwegs sein.«
»Warten wir ab, wer neugierig genug ist, um auf die Bremse zu treten.«
Lisa schüttelte heftig den Kopf.
»Ich weiß, ob man den Betreffenden vertrauen kann oder nicht.«
»Ich …«, sie zögerte, holte tief Luft und brachte sich wieder unter Kontrolle, »ich vertraue niemandem.«
»Es gibt auch gute Menschen auf der Welt. Eigentlich sind sogar die meisten gut. Wie dem auch sei: Wenn Leute halten, weiß ich, ob sie in Ordnung sind.«
»Aber wie? Lieber Himmel, wie wollen Sie das herausfinden?«
»Ich weiß es einfach.« Jim konnte es ihr ebensowenig erklären wie die Sicherheit, mit der er gewußt hatte, daß sie und ihre Tochter in der Wüste Hilfe brauchten.
Er nahm auf der Harley Platz und drückte den Knopf des Anlassers. Sofort erklang ein gleichmäßiges Grollen. Er gab mehrmals Gas und stellte den Motor dann wieder ab.
»Wer sind Sie?« fragte Lisa.
»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Warum nicht?«
»Diese Sache erregt zuviel Aufsehen. Sie wird im ganzen Land Schlagzeilen machen.«
»Ich verstehe nicht.«
»Überall würden Bilder von mir erscheinen. Ich lege großen Wert auf meine Privatsphäre.«
Die Harley verfügte über einen kleinen Gepäckträger. Jim schnallte die Schrotflinte daran fest.
»Wir verdanken Ihnen soviel«, sagte Lisa, und Ironheart hörte das hilflose Zittern in ihrer Stimme.
Er sah sie an, richtete den Blick dann auf Susie. Das Mädchen hatte einen dünnen Arm um seine Mutter geschlungen und klammerte sich noch immer an ihr fest. Es hörte dem Gespräch überhaupt nicht zu. Die grünen Augen starrten ins Leere; in Gedanken weilte das Kind an einem ganz anderen Ort. Es hob die freie Hand zum Mund und biß so fest auf einen Knöchel, daß Blut hervorquoll.
Jim wandte sich wieder dem Motorrad zu.
»Sie schulden mir nichts«, erwiderte er.
»Aber Sie haben uns gerettet!«
»Nur Sie«, murmelte er. »Nicht alle. Ein Mensch starb, obwohl er leben sollte.«
Ironheart drehte den Kopf und sah nach Osten, als er das langsam lauter werdende Brummen eines Wagens hörte. Ein aufgemotzter schwarzer Trans Am kam aus der flimmernden Hitze. Die Reifen blockierten und quietschten, als der Fahrer bremste. Rote Flammenmuster gingen vom Vorderrad aus, und breite Chromstreifen schützten die Ränder beider Radkästen. Im hellen Licht der Wüstensonne funkelte der ebenfalls aus Chrom bestehende doppelte Auspuff wie Quecksilber.
Der Fahrer stieg aus: etwa dreißig Jahre alt, das dichte schwarze Haar nach hinten gekämmt, voll an den Seiten, im Nacken zusammengebunden. Er trug Jeans und ein weißes T-Shirt mit hochgerollten Ärmeln. Tätowierungen zeigten sich auf dem Bizeps.
»Stimmt was nicht?« fragte er und blieb auf seiner Seite des Wagens stehen.
Jim musterte ihn kurz und antwortete dann: »Die Mutter und ihre Tochter müssen irgendwie in die nächste Stadt gelangen.«
Als der Mann um den Trans Am herumging, öffnete sich die Beifahrertür, und eine Frau stieg aus. Sie war einige Jahre jünger als ihr Begleiter, trug weite, hellbraune Shorts, ein rückenfreies Shirt und ein weißes Halstuch. Einige lange Strähnen des blondgefärbten Haars reichten darüber hinweg und umrahmten ein so stark geschminktes Gesicht, daß es wie ein Werbefoto der kosmetischen Industrie wirkte. Hinzu kam üppiger Schmuck: große hin und her baumelnde Ohrringe, drei Ketten aus Glasperlen in
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