Die Kälte Des Feuers
deren Makellosigkeit Jim mit der Membran an den Innenflächen einer Eischale verglich. Das Mädchen wirkte auf ihn wie die Verkörperung von Unschuld, Güte und Reinheit - ein Engel, der in eine Jauchegrube gefallen war. Neuer Zorn wuchs in ihm, als er dieses makellose Geschöpf gefesselt sah, dem Dreck des Schlafzimmers ausgesetzt.
Tränen strömten über die Wangen des Mädchens, und es schluchzte leise hinter dem Klebeband, das über seine Lippen lief. Die Mutter weinte nicht, doch in ihren Augen glühten Grauen und Furcht. Ihr Verantwortungsbewußtsein für die Tochter und eine Wut, die der Jims ähnelte, bewahrten sie wohl davor, ein Opfer von Hysterie zu werden.
Ironheart begriff plötzlich, daß sie Angst vor ihm hatten.
Vielleicht hielten sie ihn für einen Komplizen der beiden Entführer.
Er lehnte seine Waffe an die Frisierkommode. »Es ist alles in Ordnung. Sie brauchen jetzt nichts mehr zu befürchten. Ich habe die Kerle umgebracht, alle beide.«
Die Mutter starrte ihn aus weit aufgerissenen, ungläubigen Augen an.
Jim konnte es ihr nicht verdenken, daß sie zweifelte. Seine Stimme klang seltsam: Zorn vibrierte in ihr, und bei jedem dritten oder vierten Wort überschlug sie sich; sie pendelte zwischen tonlosem Flüstern und scharfem Zischen.
Er suchte nach einer Möglichkeit, die Fesseln zu zerschneiden. Auf dem Frisiertisch lagen eine Rolle mit Klebeband und eine Schere.
Als Ironheart nach der Schere griff, bemerkte er mehrere Videokassetten. Erst jetzt fielen ihm die vielen obszönen Fotos an den Wänden auf, die offenbar aus Sex-Magazinen stammten, und er erkannte sie als Schund besonderer Art: Kinderpornographie. Die Bilder zeigten erwachsene Männer mit verhüllten Gesichtern, aber es gab keine erwachsenen Frauen, nur Mädchen und Jungen, die meisten nicht älter als Susie, viele von ihnen weitaus jünger. Sie wurden auf jede nur denkbare Weise mißbraucht.
Die erschossenen Männer hätten sich die Mutter wohl nur für kurze Zeit vorgenommen, hätten sie vergewaltigt und gefoltert, um das Kind vollends einzuschüchtern. Jim stellte sich vor, wie sie Lisa anschließend die Kehle durchgeschnitten und ihre sterblichen Überreste auf irgendeinen abgelegenen Platz in der Wüste geworfen hätten, die Leiche ein Fraß für Eidechsen, Ameisen und Geier. Ihr eigentliches Interesse galt dem Mädchen; während der nächsten Monate oder Jahre hätte Susie die reinste Hölle erlebt.
Jims Zorn erfuhr eine sonderbare Verwandlung, er wurde noch heißer und wuchs über das Niveau reiner Wut hinaus. Lichtlose Finsternis wogte in ihm wie schwarzes Rohöl, das aus einem Bohrturm spritzt.
Es entsetzte ihn, daß Susie diese Fotos gesehen hatte und gezwungen gewesen war, auf dem fleckigen, stinkenden Bett zu liegen, umgeben von unbeschreiblichen Obszönitäten. Er spürte den verrückten Wunsch, die Schrotflinte zu nehmen und erneut auf die Toten zu schießen.
Sie haben das Mädchen nicht angerührt. Dem Himmel sei Dank dafür. Es blieb ihnen nicht genug Zeit, ihm etwas anzutun.
Aber das Zimmer … Allein der Aufenthalt in einem solchen Raum kam unmittelbarer Notzucht gleich.
Jim bebte am ganzen Leib.
Und er sah, daß auch die Mutter zitterte.
Es dauerte einige Sekunden, bis ihm klar wurde, daß ihr Zittern nicht ebenfalls auf Zorn basierte. Sie fürchtete sich. Vor ihm. Vielleicht jagte er ihr sogar einen noch größeren Schrecken ein als die beiden Entführer.
Er war froh darüber, daß die Kammer keinen Spiegel enthielt. Ihm lag nichts daran, sein eigenes Gesicht zu sehen. Bestimmt zeigte sich Wahnsinn darin.
Jim versuchte, die Fassung wiederzugewinnen.
»Es ist alles in Ordnung«, wiederholte er. »Ich bin gekommen, um Ihnen zu helfen.«
Er wollte so schnell wie möglich die Fesseln lösen, um Mutter und Tochter von der Furcht zu befreien. Neben dem Bett sank er auf die Knie, schnitt das Klebeband an den Füßen der Frau durch und riß die Fetzen fort. Anschließend nahm er sich die Streifen an den Händen vor und überließ Lisa den Rest.
Als er sich dem Mädchen zuwandte, wich es ängstlich zurück. Er griff sanft nach den Füßen, doch Susie trat nach ihm und wand sich auf den grauen, übelriechenden Laken. Er trat sofort zurück.
Lisa zog das Band von den Lippen, nahm einen Lappen aus dem Mund und schnappte keuchend nach Luft. Sie sprach mit einer heiseren Stimme, die sowohl verzweifelt als auch resigniert klang. »Mein Mann, im Kombi… Mein Mann!«
Jim blickte sie an und gab keine Antwort;
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