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Die Kälte Des Feuers

Die Kälte Des Feuers

Titel: Die Kälte Des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Tommy Weeks. »Dachten Sie vielleicht, es sei mein Traum gewesen, in der Nachrichtenredaktion des Portland Kurier zu fegen?«
    »Wohl kaum«, erwiderte Holly und empfand so etwas wie Schuld. Ich bejammere mein Schicksal, obgleich Tommy noch weitaus schlimmer dran ist.
    »Nein, ganz sicher nicht. Schon als kleiner Junge habe ich davon geträumt, irgendwann einmal einen großen Müllwagen zu fahren. Immer wieder stellte ich mir vor, im hohen Fahrerabteil zu sitzen und den Knopf zu drücken, der den hydraulischen Kompressor betätigt.« Tommys Stimme klang sehnsüchtig. »Hoch über der Welt - und der riesige Laster gehorcht mir allein. Ja, das war mein Traum, und ich versuchte, ihn zu verwirklichen. Aber leider fiel ich bei der städtischen Gesundheitsprüfung durch. Wegen eines kleinen Nierenproblems. Oh, nichts Ernstes, aber es genügte den Ärzten, um mich auszumustern.«
    Er stützte sich noch immer auf den Besen, sah verträumt in die Ferne und lächelte schief. Vielleicht dachte er erneut daran, am Steuer eines Müllwagens zu sitzen, wie ein König auf dem Thron.
    Holly starrte ihn ungläubig an und kam zu dem Schluß, daß sein Gesicht nicht nett, unschuldig und freundlich wirkte. Sie hatte den Ausdruck darin falsch gedeutet. Es war ein dummes Gesicht.
    Was bist du doch für ein Idiot! wollte die Journalistin rufen. Ich habe davon geträumt, Pulitzerpreise zu gewinnen, und jetzt muß ich über banale Nutzholztrophäen schreiben. Das ist eine wahre Tragödie! Du schwingst jetzt einen Besen, anstatt einen Müllwagen zufahren. Glaubst du etwa, das ließe sich mit mir vergleichen?
    Aber sie brachte keinen Ton hervor, weil sie plötzlich begriff, daß es durchaus Parallelen gab. Ein unerfüllter Traum - ob anspruchsvoll oder bescheiden - war tragisch für denjenigen, der ihn aufgeben mußte. Nicht gewonnene Pulitzerpreise und nie gefahrene Müllwagen konnten gleichermaßen Verzweiflung und Schlaflosigkeit erzeugen. Dieser Gedanke deprimierte Holly mehr als alles andere.
    Tommys Blick kehrte ins Hier und Jetzt zurück. »Man darf einfach nicht darüber nachdenken, Miß Thorne. Das Leben ist so … als bekäme man einen Blaubeerkuchen im Café, obgleich man ein Stück Aprikosentorte mit Nüssen bestellt hat. Man erhält weder Aprikosen noch Nüsse, aber wenn man sich überlegt, was einem fehlt … Nun, dann sollte man sich daran erinnern, daß Blaubeeren ebenfalls gut schmecken.«
    Auf der anderen Seite des Raums furzte George Fintel im Schlaf. Es klang wie eine mittelschwere Explosion. Wenn der Kurier eine große und wichtige Zeitung gewesen wäre, mit Journalisten, die gerade aus Beirut oder einem anderen Kriegsgebiet zurückkehrten - bestimmt hätten sich die Korrespondenten sicherheitshalber zu Boden geworfen.
    Lieber Himmel, dachte Holly betrübt. Mein Leben ist nichts weiter als die schlechte Imitation einer Damon-Runyon-Story. Schäbige Redaktionen nach Mitternacht. Blödsinnige Besenschwinger, die sich als Philosophen entpuppen. Betrunkene Reporter, die an ihren Schreibtischen schlafen. Doch in diesem Fall handelt es sich um einen Runyon-Roman, den zwei Autoren überarbeitet hatten: Der eine neigte zum Absurden, und der andere war ein hoffnungsloser Existentialist.
    »Das Gespräch mit Ihnen hat mir sehr geholfen«, log Holly. »Besten Dank, Tommy.«
    »Gern geschehen, Miß Thorne.«
    Als Tommy Weeks die Arbeit mit dem Besen fortsetzte und langsam durch den Gang schritt, schob sich Holly ein drittes Bonbon in den Mund und überlegte, ob sie die Gesundheitsprüfung für angehende Müllwagenfahrer bestanden hätte. Jene Tätigkeit unterschied sich von dem Journalismus, den sie kannte: Man sammelte Müll, anstatt ihn zu verteilen. Außerdem hätte ich die Genugtuung, daß mich zumindest eine Person in Portland beneiden würde.
    Sie warf einen Blick auf die Wanduhr. Ein Uhr dreißig. Holly war nicht müde. Sie wollte nicht nach Hause zurückkehren, wach im Bett liegen und an die Decke starren, während sie sich erneut dem Selbstmitleid hingab. Nein, das stimmte nicht ganz. Eigentlich entsprach es ihrem Wunsch; ihre gegenwärtige Stimmung verlangte, daß sie sich auf die mentale Anklagebank setzte. Aber gleichzeitig wußte sie, daß so etwas alles nur noch schlimmer machte. Leider gab es keine Alternative: Mitten in der Woche beschränkte sich das späte Nachtleben in Portland auf einige rund um die Uhr geöffnete Imbißstuben.
    Weniger als ein Tag trennte Holly von ihrem Urlaub, und sie brauchte ihn dringend. Sie

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