Die Kälte Des Feuers
Statt dessen hatte sie Mitleid mit sich selbst, weil sie es zuließ, zu einer törichten Witzfigur zu werden.
Glücklicherweise befand sich die Morgenausgabe der Zeitung bereits im Druck. Die Redaktion war fast leer, es gab also keine Kollegen, die Holly in ihrem gegenwärtigen Zustand beobachten konnten. Nur zwei andere Personen hielten sich in dem großen Raum auf: Tommy Weeks - ein schlaksiger Mann, der Abfallkörbe leerte und fegte - sowie George Fintel.
George sammelte Nachrichten von und über die Stadtverwaltung, saß am anderen Ende des Raums, hatte den Kopf auf die verschränkten Arme gestützt und schlief. Gelegentlich schnarchte er so lauf, daß ihn Holly hörte. Nach Feierabend kehrte George manchmal in die Redaktion zurück, anstatt seine Wohnung aufzusuchen. Er verhielt sich wie ein altes Pferd: Wenn man die Zügel lockerließ, zog es den Karren über den vertrauten Weg zu einem Ort, den es für sein Heim hielt. Manchmal erwachte er in der Nacht, sah sich verwirrt um und beschloß dann, für einige Stunden ins Bett zu kriechen. »Politiker sind die niedrigste aller Lebensformen«, sagte er häufig. »Sie haben sich vom ersten schleimigen Geschöpf zurückentwickelt, das aus der Ursuppe an Land kroch.« Mit siebenundfünfzig war er zu ausgebrannt, um noch einmal von vorn zu beginnen. Er verbrachte seine Tage damit, über Mitglieder des Stadtrates zu schreiben, die er insgeheim haßte, und dieser Haß erweiterte sich schließlich auf ihn selbst, bis er Trost in einem erheblichen Tageskonsum an Wodka-Martinis suchte.
Wenn Holly Gefallen an Alkohol gefunden hätte, wäre sie besorgt gewesen, so zu enden wie George Fintel. Aber ein Drink sorgte bereits dafür, daß ihr der Kopf schwirrte. Nach einem zweiten war sie beschwipst, und der dritte ließ sie schlafen.
Ich verabscheue mein Leben, dachte sie.
»Du miese, dich selbst bemitleidende Närrin«, sagte sie laut.
Himmel, ich ertrage es nicht mehr. Alles ist so schrecklich hoffnungslos.
»Verdammt, gib dich doch nicht so der Verzweiflung hin«, fügte Holly etwas leiser hinzu.
»Meinen Sie mich?« fragte Tommy Weeks und schob einen Besen durch den Gang, der an Hollys Schreibtisch vorbeiführte.
»Nein, Tommy. Ich spreche mit mir selbst.«
»Sie? Meine Güte, worüber sollten Sie unglücklich sein?«
»Über mein Leben.«
Weeks blieb stehen, lehnte sich auf den Besen und verlagerte das Gewicht auf ein Bein. Mit den vielen Sommersprossen im Gesicht, den großen Ohren und seinem dichten Schöpf aus möhrenrotem Haar wirkte er nett, unschuldig und freundlich. »Sind die Dinge nicht so gelaufen, wie Sie es sich erhofften?«
Holly griff nach einer halbleeren Tüte, schob sich ein Bonbon in den Mund und seufzte. »Als ich die Universität von Missouri mit einem Abschluß in Journalismus verließ, wollte ich die ganze Welt aus den Angeln heben, großartige Stories schreiben und Pulitzerpreise sammeln. Sehen Sie mich jetzt an. Wissen Sie, womit ich heute abend beschäftigt gewesen bin?«
»Was auch immer es war - offenbar haben Sie keinen großen Gefallen daran gefunden.«
»Ich fuhr zum Hilton, um am Jahresbankett des Großen Portland-Verbands für Holzprodukte teilzunehmen. Dort habe ich Hersteller von Fertigteilen für Einfamilienhäuser, SperrholzVerkäufer und Anbieter von Redwood-Furnieren interviewt. Man verlieh die sogenannte Nutzholztrophäe, und zwar dem >besten HolzMann des Jahres<. Auch mit ihm führte ich ein kurzes Gespräch. Anschließend kehrte ich so schnell wie möglich hierher zurück, um den Artikel rechtzeitig für die Morgenausgabe zu schreiben. Derartige wichtige Nachrichten muß man sofort zu Papier bringen, bevor sie einem die Typen von der New York Times wegschnappen.«
»Ich dachte, Sie sind für schöne Künste und Freizeit zuständig.«
»Hab’s satt. Wissen Sie, Tommy, der falsche Dichter kann einem die Freude an der Kunst auf Jahre hinaus verderben.«
Holly nahm ein zweites Bonbon. Normalerweise aß sie keine Süßigkeiten, weil sie nicht die Gewichtsprobleme bekommen wollte, mit der ihre Mutter immer zu kämpfen hatte. Derzeit suchte sie Trost darin, weil sie sich so niedergeschlagen und elend fühlte. Sie begriff, in einer nach unten gerichteten Spirale des Kummers gefangen zu sein.
»In Filmen wird der Journalismus immer als ruhmvoll und abenteuerlich dargestellt«, sagte sie. »Aber die Wirklichkeit sieht ganz anders aus.«
»Ich führe auch nicht das Leben, das ich mir eigentlich gewünscht habe«, verkündete
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