Die Kälte Des Feuers
Worte überhören konnte. Sie legte ihm die Hand auf den Arm und drückte so fest zu, daß es schmerzte. »Zum Donnerwetter, wollen Sie ihnen denn überhaupt keine Chance geben?«
»Ich würde nur eine Panik verursachen.«
»Wenn Sie imstande wären, mehr Menschen zu retten, jedoch darauf verzichten, diese Möglichkeit wahrzunehmen …«, raunte Holly, und in ihren Augen blitzte es. »Das wäre Mord.«
Dieser Vorwurf traf ihn schwer und hatte die gleiche Wirkung wie ein Fausthieb in den Magen. Für einige Sekunden stockte ihm der Atem. Als er schließlich Antwort gab, klang seine Stimme rauh und heiser. »Ich hasse den Tod. Ich hasse es, daß Menschen sterben. Meine Güte, ich hasse es von ganzem Herzen. Ich möchte sie retten, das Leiden beenden und auf der Seite des Lebens stehen. Aber mir sind die Hände gebunden. Ich bin nicht allmächtig.«
»Mord«, wiederholte Holly.
Damit bürdete sie ihm eine unerträgliche Last auf. Er konnte unmöglich die Verantwortung für alle Passagiere an Bord übernehmen. Wenn er imstande war, die Dubroweks zu retten, so bewirkte er zwei Wunder, bewahrte Mutter und Tochter vor dem frühen Tod, den das Schicksal für sie plante. Aber Holly Thorne wußte nichts von seinen Fähigkeiten und lehnte es ab, sich mit zwei Wundern zu begnügen - sie wollte drei, vier, fünf, zehn, hundert! Jim spürte, wie das imaginäre Gewicht auf seinen Schultern zunahm, wie sich die ganze Masse des Flugzeugs auf ihn herabsenkte, ihn langsam zerquetschte. Er fand es falsch, daß die Journalistin ihm die Schuld gab
- es war nicht fair. Wenn sie einen Schuldigen suchte, so sollte sie sich an Gott wenden; nur er wußte, warum seine heiligen Pläne einen Flugzeugabsturz vorsahen.
»Mord.« Hollys Finger übten einen noch stärkeren Druck aus.
Jim spürte ihre Wut wie die Hitze der Sonne, die von glänzendem Metall reflektierte. Reflektierte. Er begriff plötzlich, daß dieser Vergleich zutreffend war. Hollys Zorn angesichts seiner Weigerung, alle Menschen im Flugzeug zu retten, entsprach Jims eigenem Ärger darüber, nicht dazu fähig zu sein. Mit anderen Worten: Ihre Wut spiegelte seine eigene wider.
»Mord«, flüsterte die Journalistin noch einmal und wußte offenbar, welche profunde Wirkung sie mit diesem Vorwurf erzielte.
Ironheart sah in ihre wundervollen Augen und wollte ihr eine schallende Ohrfeige versetzen. Und damit noch nicht genug. Er verspürte plötzlich den Wunsch, ihr die Faust mit aller Kraft ins Gesicht zu rammen, sie bewußtlos zu schlagen - damit sie endlich damit aufhörte, seine eigenen Gedanken in Worte zu kleiden. Sie war zu aufmerksam und scharfsinnig. Er haßte sie, weil sie recht hatte.
Jim schlug nicht etwa zu, sondern stand auf.
»Wohin gehen Sie?« fragte Holly.
»Ich spreche mit einer Stewardeß.«
»Was wollen Sie ihr sagen?«
»Sie haben gewonnen, in Ordnung? Sie haben gewonnen.«
Auf dem Weg in den hinteren Bereich des Flugzeugs musterte Jim die Personen, an denen er vorbeilief. Es rann ihm eiskalt über den Rücken, als er daran dachte, daß viele von ihnen bald sterben würden. Seine Verzweiflung wuchs und zeigte ihm Schreckensvisionen: die Schädel unter der Haut, geborstene Knochen. Es sind Zombies, dachte er. Lebende Tote. Die Furcht wurde so intensiv, daß Übelkeit in ihm hochstieg. Aber die Furcht bezog sich nicht etwa auf ihn selbst, sondern galt diesen Menschen.
Die DC-10 erbebte und wackelte so heftig, als sei sie in ein Schlagloch des Himmels geraten. Jim hielt sich an der Rückenlehne eines Sessels fest. Nein, noch ist es nicht soweit.
Die Stewardessen hatten sich in ihrem Arbeitsabteil versammelt und trafen gerade Vorbereitungen dafür, die Tabletts mit dem Mittagessen zu verteilen. Jim bemerkte auch einige Stewards. Er versuchte, das Alter der Uniformierten zu schätzen: Zwei von ihnen wären erst Anfang Zwanzig, die übrigen über fünfzig.
Jim wandte sich an die älteste Frau, >Evelyn< stand auf ihrem Namensschild.
»Ich muß mit dem Piloten sprechen«, sagte er leise, obgleich die nächsten Passagiere mehrere Meter entfernt saßen.
Evelyn gab durch nichts zu erkennen, überrascht zu sein. Ihr Gesicht zeigte nur ein professionelles Lächeln. »Tut mir leid, Sir, aber das ist nicht möglich. Ganz gleich, um welche Probleme es geht: Ich kann Ihnen bestimmt helfen …«
»Ich war eben in der Toilette und habe etwas gehört, ein falsches Geräusch«, log Jim. »Es ging von den Triebwerken aus.«
Evelyns Lächeln wurde ein wenig breiter und
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