Die Kälte Des Feuers
Weg. Jeder wollte aus dem Flugzeug fliehen. Eine junge Stewardeß gab sich alle Mühe, den Passagieren zu helfen, aber trotzdem kamen sie nur langsam voran. Dutzende von kleinen Koffern, Handtaschen, Büchern und andere aus den Handgepäckfächern gefallenen Gegenstände lagen im Gang, und Jim mußte sehr darauf achten, nicht zu stolpern.
Der dichte Rauch glitt von hinten heran, erreichte und umhüllte sie, brannte so sehr in den Augen, daß ihnen Tränen über die Wangen rannen. Jim hustete, als die ersten tentakelartigen Ausläufer des Qualms nach ihm tasteten. Einen Sekundenbruchteil später würgte er voller Abscheu und versuchte, nicht daran zu denken, was hinter ihnen brannte - abgesehen von Polstern, Kunststoff, Teppichboden und anderen Innenausstattungsteilen des Flugzeugs.
Der ätzende Rauch wogte weiter, schob sich gnadenlos in die vorderen Bereiche der DC-10, und die Passagiere verschwanden darin. Sie schienen durch einen Vorhang aus schwarzem Samt zu hasten.
Bevor die Sichtweite auf einige wenige Zentimeter schrumpfte, ließ Jim Hollys Hand los und berührte Christine an der Schulter. »Ich nehme das Kind«, sagte er, hob Casey hoch und drückte sie fest an sich.
Vor ihm im Gang lag eine aufgeplatzte Papiertüte. Sie enthielt unter anderem ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift I LOVE L. A., und daneben zeigte sich die Darstellung rosaroter, pfirsichfarbener und hellgrüner Palmen.
Jim griff nach dem Shirt und drückte es Casey in die kleinen Hände. Keuchend brachte er hervor: »Halt es vors Gesicht. Benutz es als Atemfilter!«
Dann wurde er praktisch blind. Die Qualmwolke um ihn herum war so dicht, daß er nicht einmal mehr das Kind in seinen Armen sah. Ebensowenig konnte er Luftströmungen innerhalb des Rauchs feststellen; er schien statisch zu sein, die ganze Welt zu umfassen. Die Schwärze war noch dunkler als jene Finsternis, die Jim sah, wenn er die Augen schloß, denn hinter den Lidern formte buntes Glitzern seltsame Muster und erhellte seinen inneren Kosmos.
Etwa sechs Meter trennten sie von dem breiten Riß im Rumpf. Er konnte sich kaum verirren, denn der Gang bot den einzigen möglichen Weg dorthin.
Ironheart versuchte, nicht zu atmen. Normalerweise fiel es ihm leicht, die Luft eine Minute lang anzuhalten, und das sollte eigentlich genügen. Allerdings gab es ein Problem: Ein Teil des beißenden Rauchs war ihm bereits in die Lungen geraten und brannte so sehr, als hätte er Säure verschluckt. Der Würgreiz wurde immer stärker, und jeder Krampf in der Speiseröhre zwang ihn dazu, zumindest flach zu atmen.
Noch etwa vier Meter.
Jim wollte die Passagiere weiter vorn anschreien: Bewegt euch endlich, verdammt! Er wußte, daß sie nicht trödelten und ebenfalls versessen darauf waren, die Maschine zu verlassen, aber er spürte trotzdem den Wunsch, sie zu verfluchen. Zorn brodelte in ihm, und er begriff, daß er hysterisch zu werden begann.
Er trat auf einige kleine zylindrische Objekte und schwankte wie jemand, der auf Murmeln stand. Aber es gelang ihm, das Gleichgewicht zu wahren.
Casey erlitt einen Hustenanfall. Jim hörte sie nicht, fühlte jedoch, daß sie heftig zitterte und sich hin und her wand, während sie die schlecht gefilterte Luft durch das weiße T-Shirt saugte.
Kaum eine Minute war verstrichen, seit er seinen Platz verlassen hatte, und Casey hielt er erst seit etwa dreißig Sekunden in den Armen. Trotzdem glaubte er, schon eine Ewigkeit lang durch einen dunklen Tunnel unterwegs zu sein.
Furcht und Zorn schufen ein wirres Durcheinander hinter seiner Stirn, aber er dachte noch immer klar genug, um sich an etwas zu erinnern. Er hatte einmal gelesen, daß Rauch in einem brennenden Zimmer nach oben steigt und sich an der Decke sammelt. Jim beschloß, auf Händen und Knien über den Boden des Gangs zu kriechen, wenn sie sich während der nächsten Sekunden nicht in Sicherheit bringen konnten. Vielleicht fanden sie unten etwas reinere Luft, die es ihnen ermöglichte, lange genug zu überleben, um den Riß im Rumpf zu erreichen.
Plötzliche Hitze schlug ihm entgegen.
Er stellte sich vor, in einen Schmelzofen zu treten, der ihm innerhalb eines Sekundenbruchteils die Haut verbrannte und das Fleisch darunter verkohlte. Sein Herz schien zu einem wilden Tier zu werden, das versuchte, aus dem Käfig zu springen. Es pochte jetzt noch schneller und lauter.
Jim war davon überzeugt, daß sie sich jetzt in unmittelbarer Nähe des Risses befanden, und er öffnete die tränenden Augen.
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