Die Kälte Des Feuers
katholische Priester und auch ein Rabbiner ein, die mit den unverletzten Passagieren sprachen. Man stellte ihnen einen großen VIPAufenthaltsraum mit Mahagonitischen und blauen Polstersesseln zur Verfügung und schaltete zwölf zusätzliche Telefonleitungen. Krankenschwestern hielten nach Anzeichen für verzögerte Schocks Ausschau.
Die Angestellten der United Airlines erwiesen sich als besonders dienstbeflissen, kümmerten sich um die Buchung von Hotelzimmern und Anschlußflügen. Alle versuchten, den Unverletzten so schnell wie möglich Kontakte zu Freunden und Verwandten zu ermöglichen, die in Krankenhäusern untergebracht worden waren. Voller Mitgefühl übermittelte man Nachrichten vom Tode geliebter Menschen. Die Helfer schienen ebenso entsetzt und erschüttert zu sein wie die Passagiere; offenbar bestürzte es sie, daß so etwas mit einer ihrer Maschinen geschehen konnte. Holly beobachtete eine junge Frau, die eine UA-Jacke trug, plötzlich zu schluchzen begann und den Raum hastig verließ. Überall sah sie blasse, hohlwangige Gesichter. Holly fühlte sich versucht, die Angestellten zu trösten, den Arm um ihre Schultern zu legen und ihnen zu sagen, daß es früher oder später selbst an Bord der sichersten und am besten gewarteten Flugzeuge zu Fehlfunktionen kommen mußte, da das Wissen des Menschen unvollständig war und Dunkelheit in der Welt lauerte.
Unter diesen besonderen Umständen waren Mut, Würde und Mitleid so deutlich präsent, daß Holly die regelrechte Invasion der Medien zutiefst verabscheute. Sie wußte, daß die Würde eines der ersten Opfer sein würde. Nun, die Journalisten gingen natürlich nur einer Arbeit nach, deren Probleme und Notwendigkeiten Holly gut kannte. Aber der Prozentsatz von Reportern, die ihre Arbeit richtig erledigten, war nicht größer als der von wirklich kompetenten Klempnern oder von Tischlern. In dieser Hinsicht gab es jedoch einen wichtigen Unterschied: Unfähige oder schlichtweg feindselige Journalisten konnten ihre Gesprächspartner in erhebliche Schwierigkeiten bringen, in manchen Fällen Unschuldige verleumden und dem Ruf einzelner Personen großen Schaden zufügen. Das war weitaus schlimmer als ein falsch angebrachtes Rohr oder Lücken zwischen Holzteilen, die nicht zueinander paßten.
Ein ganzes Heer aus Fernseh-, Radio- und Zeitungsreportern stürmte in den Flughafen und erreichte schon nach kurzer Zeit die mit Zugangsbeschränkungen geschützten Bereiche. Einige von ihnen respektierten den emotionalen und psychischen Zustand der Überlebenden, doch viele andere bedrängten die UAAngestellten mit Fragen nach >Verantwortung< und >moralischer Verpflichtung< Oder sie versuchten, das Entsetzen der Passagiere bloßzulegen, ihr Grauen einzufangen, damit sensationslüsterne Zuhörer und Zuschauer an ihrem Schrecken teilhaben konnten. Holly kannte diese Routine und verstand sich darauf, gierige Neugier abzuwehren, was sie jedoch nicht davor bewahrte, daß ihr innerhalb von fünfzehn Minuten vier verschiedene Journalisten die gleiche Frage stellten: »Wie fühlen Sie sich?« Wie fühlte man sich, wenn man erfuhr, daß eine Bruchlandung drohte? Wie fühlte man sich, wenn man die eisige Kälte des nahen Todes spürte? Wie fühlte man sich, wenn man sah, daß viele andere Menschen gestorben waren?
Ein hartnäckiger und überaus gepflegt wirkender CNN-Reporter namens Anlock trieb Holly schließlich an einem breiten Panoramafenster in die Enge, durch das man die Starts und Landungen beobachten konnte. Es schien ihm ein Rätsel zu sein, daß ihr sein Interesse nicht schmeichelte. »Fragen Sie mich, was ich gesehen habe oder denke«, sagte sie ihm. »Fragen Sie mich wer, was, wo, warum und wie. Aber bei Gott: Fragen Sie nicht, wie ich mich fühle, denn wenn Sie ein Mensch sind, müßten sie genau wissen, was ich empfinde. Das sollten Sie sich eigentlich vorstellen können, wenn Sie auch nur einen Hauch von Mitgefühl haben.«
Anlock und sein Kameramann wichen zurück und begannen mit der Suche nach einem anderen Opfer. Holly merkte, daß sich viele Personen im Aufenthaltsraum umgedreht hatten, um festzustellen, was die Aufregung zu bedeuten hatte.
Es war ihr völlig gleich. Sie wollte Anlock nicht einfach so gehen lassen, stand auf und folgte ihm.
»Sie wollen keine Fakten, sondern ein Drama. Sie wollen Blut und Schmerzen. Sie wollen, daß Ihnen die Leute ihre Seelen zeigen. Und dann nehmen Sie sich das, was Sie interessiert, verändern und verdrehen es, stellen es so
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