Die Kälte in dir (German Edition)
Finckh.
»Muss uns nicht interessieren«, entgegnete Kristina, obwohl es ihr selbst schwer fiel, die Konzentration auf den Ermittlungen zu lassen. Der Verlust des Führerscheins war nur die Spitze des Eisbergs, der momentan ihr Leben darstellte. Ein gefrorener Brocken Wasser, der in einem trüben Ozean trieb. Sie musste endlich damit klarkommen.
»1 3 000 Namen«, sprach sie leise vor sich hin. »Das ist eine immense Summe, eine ganze Menge mehr, als wir Nachrufe gefunden haben. Nur ein kleiner Prozentsatz der Personen, die Osswald in seinem Laptop führte, sind gestorben oder haben sich umgebracht. Ist das nun gut oder schlecht?«
»Ich weiß nicht, aber es macht mir Angst«, gab ihr Finckh zu verstehen.
Kaum war sie zurück hinter ihrem Schreibtisch, stand Sonja Lachenmeier in der Tür.
Kristina sah die junge Beamtin erwartungsvoll an. »Was hast du für mich?«
»Vor elf Jahren wurde Osswald Opfer eines tätlichen Übergriffs. Allerdings hat er selbst keine Anzeige erstattet und trat auch nicht als Nebenkläger auf.«
»Was ist passiert?«
»Nachdem ein Familienvater durch die Attpoes-Übernahme eines Mittelstandsunternehmens seinen Job verloren hat, tötete er aus Verzweiflung seine drei Kinder und danach sich selbst. Wenige Tage später lauerte die Witwe Osswald auf und attackierte ihn mit einem Messer. Der Chauffeur des Aufsichtsrats konnte den Angriff abwehren, niemand wurde verletzt. Die Frau wurde festgenommen, angeklagt und zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt.«
»Haben wir die Adresse?«
Lachenmeier nickte. »Sie wohnt in Stuttgart.«
»Gut, sprechen wir mit ihr«, sagte Kristina, doch das klingelnde Telefon hielt sie zurück.
Wo steckte Finckh? Er wollte doch nur den Wagen abstellen. Genervt griff sie nach dem Hörer. Nach zwanzig Sekunden hatte sie eine Gänsehaut auf den Unterarmen.
Wie die Löschfahrzeuge, die eine halbe Stunde zuvor an ihnen vorübergefahren waren, bog nun auch Sonja Lachenmeier in das Industriegebiet im Waiblinger Süden ein. Kristina klammerte sich an den Seitengriff. Finckh hatte recht gehabt, das Ziel war der Wertstoffhof. Leider war nicht nur Altpapier in Rauch aufgegangen.
Sonja war blass um die Nase, und Kristina ahnte, warum. Die junge Kollegin hatte während ihrer kurzen Dienstzeit bei der Mordkommission noch keine Brandleiche zu Gesicht bekommen. Und wenn Kristina ehrlich war, hätte sie auch gern darauf verzichtet. Egon Osswalds verstümmelter Körper war ein abscheulicher Anblick gewesen. Einen Tag darauf einen zur Unkenntlichkeit verkohlten Leichnam zu beschauen, war eine nervenaufreibende Steigerung.
Der Brand war gelöscht, als sie auf das Gelände fuhren, trotzdem blieb das Areal vorerst großräumig abgesperrt. Nicht nur wegen des Leichenfunds. Bei der aktuellen Dürre konnte Funkenflug schnell neue Feuer entfachen. Damit war nicht nur die angrenzende Kleingartensiedlung in Gefahr. Dementsprechend groß war das Aufgebot an Einsatzkräften. Sonja schlängelte den Dienstwagen durch die schmale Gasse von Löschfahrzeugen bis vor das Tor des Wertstoffhofs. Dort warteten die uniformierten Kollegen, die sie verständigt hatten.
Der Brandgeruch stach Kristina in die Nase. Den Rest erledigte die Vorstellungskraft. Verschmortes menschliches Gewebe; schwarze Haut; geschmolzenes Fett, das aus dem Körper gesickert war; leere Augenhöhlen, weil die Augäpfel in der Gluthitze explodiert waren wie Eier in der Mikrowelle …
Der Uniformierte, der sie in Empfang nahm, sah mitgenommen aus. Ascheflecken klebten auf seiner vom Schweiß glänzenden Stirn. »Der Container mit den Kartonagen«, sagte er und ging voran durch das Zufahrtstor.
Ein Hitzeschwall schlug Kristina entgegen, kaum dass sie in die Nähe des Containers kamen. Ein Feuerwehrmann versperrte ihr den Weg.
»Kristina Reitmeier, Kripo Waiblingen«, stellte sie sich vor.
»Uwe Laub, ich bin der Einsatzleiter«, erwiderte der Mann. »Ich kann Sie nicht näher heranlassen, die Temperatur ist noch zu hoch. Man sieht es dem Material nicht an, aber das Ding glüht von innen heraus. Selbst die Metalltreppe neben dem Container kann nicht betreten werden. Wir kühlen gerade alles runter, damit wir die Leiche bergen können.«
Am Brandherd waren zwei Löschteams zugange, die mit Spritzwasser die Außenwand bearbeiteten. Verdampfendes Wasser umhüllte die Szenerie.
»Wer hat das Feuer gemeldet?«
Der Brandmeister wies mit dem Kinn auf einen älteren Herrn im Blaumann, der mit hängenden Schultern bei einem
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