Die Kälte in dir (German Edition)
Jahren nicht mehr so leicht über die Lippen kam. Sie war nicht mehr die junge Frau auf dem Foto, das auf dem Schreibtisch ihres Vaters gestanden hatte.
Und nun teilte Kristina ihr mit, dass diese letzte verbliebene Verbindung nach Deutschland nicht mehr existierte.
»Wir haben leider außer Ihnen niemanden gefunden, der sich der Bestattung annimmt. Aber das ist natürlich nicht der einzige Grund meines Anrufs«, erklärte Kristina.
»Es ist auch niemand mehr übrig außer mir«, antwortete Louise und klang dabei weniger traurig, als Kristina erwartet hatte. »Ich dachte immer, mich würde ein Krankenhaus oder Papas Hausarzt über seinen Tod informieren. Jetzt ruft die Polizei an.«
»Es war kein natürlicher Tod, Frau Osswald. Ihr Vater wurde ermordet.«
Die Reaktion der Tochter war verhalten. Kein Gefühlsausbruch, auch nach dieser Nachricht nicht. »Darauf hat er immer gewartet.«
»Was meinen Sie damit?«
»
Ich habe mir viele Feinde gemacht
. Das waren seine Worte.«
»Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«
Ein gequältes Lachen drang aus dem Hörer, bevor sie antwortete. »Er hatte versprochen, mich zu besuchen, wenn er in den Ruhestand geht. Doch wie es schien, hat seine Zeit dafür nicht gereicht. Früher war er ständig auf Reisen. Rastlos, ein Getriebener. Vielleicht hatte er es letztlich satt, sich in ein Flugzeug zu setzen.«
»Es wäre trotzdem gut, wenn ich mit Ihnen sprechen könnte.«
»Tun wir das nicht gerade?«
Ja, das tun wir, aber ich würde dir gerne in die Augen sehen, würde mich gerne davon überzeugen, ob sich nicht doch ein wenig Trauer darin spiegelt
, dachte Kristina.
»Ich weiß, es ist viel verlangt, aber es wäre gut, wenn Sie nach Deutschland kämen«, erklärte sie.
»Die Beerdigung kann ich von hier aus organisieren, um die Auflösung des Hauses kann sich ein Verwalter kümmern, das Erbe lasse ich von meinem Anwalt regeln und den Mörder finden Sie sicher auch ohne mein Zutun«, antwortete Louise.
Sprach da die Kaltherzigkeit, die sie von einem Vater geerbt hatte, der nie Zeit für seine Tochter gehabt hatte? Nicht einmal, nachdem er seinen Ruhestand angetreten hatte. Oder hegte sie einen tiefer gehenden Groll gegen Osswald, den sie selbst nach seinem Tod nicht ablegen konnte?
Kristina fand einstweilen keine Argumente mehr, um Louise Osswald zu einer Reise in ihre alte Heimat zu bewegen. Wenn der Tod des eigenen Vaters das nicht vermochte, was konnte Kristina da noch anführen?
»Welcher Beschäftigung gehen Sie in Vancouver nach?«, fragte Kristina, um nichts unversucht zu lassen, den Grund für das reservierte Verhalten von Louise Osswald zu verstehen.
»Ich züchte Pferde«, antwortete die Wahlkanadierin knapp.
Half ihr das weiter? Gut, Pferde konnte man nicht so einfach allein lassen. Doch es kam Kristina unwahrscheinlich vor, dass die Frau mit ihrer Pferdezucht völlig auf sich gestellt war. Sie sah ein, dass sie im Moment nicht weiterkam. Womöglich war Louise doch mehr schockiert über die Nachricht, und es war ihr nur nicht anzuhören. Kanada mochte bisweilen ein raues Land sein, beim Umgang mit Pferden durfte man sicher auch nicht zimperlich sein. Die Frau war möglicherweise geprägt durch ihr Umfeld und abgehärtet – auch emotional.
Kristina stellte eine letzte Frage. »Sagt Ihnen der Name Bruno Schwarz etwas?«
Louise Osswald schwieg. Lange. Dann sagte sie leise: »Ich kenne Bruno. Vor langer Zeit hätte ich ihn beinahe geheiratet.«
6
Das subtropische Klima der letzten zwei Wochen hatte den Stadtpark entlang der Rems in einen Dschungel verwandelt. Das Abendlicht fiel nahezu mystisch durch die an den Ufern wuchernden Sträucher und Bäume. Enten gründelten in der seichten braunen Brühe, die einen erdig-modrigen Geruch verströmte. Durchs Amazonasbecken zu wandern mochte sich nicht viel anders anfühlen, ließ man die befestigten Wege und die vielen Leute außer Acht, die ihnen begegneten und die sich weder mit Federn schmückten noch Lendenschurze trugen.
Daniel ging neben Kristina Reitmeier her, bemüht, mit ihrem forschen Schritt mitzuhalten. Ihr rotes Haar leuchtete im diffusen Licht der sinkenden Sonne. Gedankenverloren führte sie ihn durch die Grünanlage.
Sie hatte etwas Wichtiges herausgefunden und ihren ursprünglichen Plan verworfen, sich von ihm nach Stuttgart kutschieren zu lassen. Nun wollte sie nicht mehr gefahren werden, sondern in seiner Begleitung zu Fuß gehen. Das entsprach zwar nicht seiner Aufgabe, aber sie hatte ihm ein
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