Die Kaempferin
Schaben von Stoff auf Holz bohrte sich in meine Eingeweide.
Ein kurzer Atemzug der Stille …
Dann ein Platschen.
Meine Kehle wurde heiß vor unterdrückten Tränen. Ich schluckte das Geräusch hinunter, schmeckte Schleim und zwang mich, die Augen zu öffnen. Blicklos starrte ich über das Deck, als das Brett zurückgesenkt wurde, die Matrosen zum nächsten Leichnam gingen und diesen auf das Brett hoben. Marielle schluchzte neben mir. Ich lauschte dem Läuten der Glocke, dem Schaben und dem Platschen, als der nächste Tote ins Wasser rutschte. Flüchtig sah ich etwas Braunes aufblitzen, als ein Körper vom Rand der Preis fiel; dann tauchte ich tief in den Fluss. Ich ließ die Geräusche von dessen Wind dämpfen, damit ich nichts mehr hören musste, ließ die Welt grau werden, damit ich nichts mehr sehen musste. Ich ließ den Fluss meine Zuflucht sein.
Als es vorüber war, berührte Avrell mich am Arm. Aus seinen Augen sprach eine Frage, doch ich schüttelte knapp den Kopf.
Die Versammlung löste sich auf. Die Seeleute begaben sich zurück auf ihre Posten, die Gardisten gingen zur Reling, um trübsinnig hinunter auf die Wellen zu starren, wo die Leichen unter der dunklen Oberfläche verschwunden waren. Bullick nickte mir zu, bevor er sich mit verkniffener Miene und voll mühsam beherrschten Kummers abwandte, die Hände hinter dem Rücken verschränkte und zum Horizont schaute. Marielle ergriff Heddans Arm und führte sie unter Deck. Keven und William folgten ihnen, wobei Keven mich kurz mit zerknirschter Miene anschaute.
Ich ging als Letzte.
Marielle ließ Heddan in unserer Kabine, damit sie sich ausruhen und in Abgeschiedenheit trauern konnte. Sie selbst jedoch blieb nicht dort, sondern folgte uns anderen, als wir den schmalen Gang hinunterschritten.
Zu Ottuls Kabine.
Als ich die Tür öffnete, saß Ottul auf ihrer Pritsche. Gwenn kauerte mit untergeschlagenen Beinen zu ihren Füßen auf demBoden. Sie hob den Blick, als die Tür aufschwang. Die Hand mit der Bürste, die sie für Gwenns Haar verwendete, verharrte und sank dann an ihrer Seite herab.
Die andere Hand legte sich auf Gwenns Kopf. Eine beschützende Geste.
Gwenn stand auf.
»Wir haben die Glocken gehört«, sagte sie mit matter, aber fester Stimme. »Ist es vorbei?«
»Ja.« Ich wollte noch mehr sagen, doch es wollten keine Worte kommen.
Dann überwand Gwenn die zwei Schritte, die uns voneinander trennten, umarmte mich und zog mich fest an sich.
Überrascht erstarrte ich. Noch nie hatte jemand sich mir so genähert, um mich zu trösten; noch nie hatte jemand daran gedacht.
Verhalten streckte ich die Hand aus und legte sie Gwenn auf den Kopf, wie es Ottul getan hatte. Dabei sah ich, wie Ottul die Lippen zusammenpresste und die Stirn leicht runzelte. Ich spürte Gwenns Zittern, doch sie schluchzte nicht und weinte nicht. Stattdessen schlossen sich ihre Arme fester um mich. Ich zog sie an mich, streichelte ihr Haar, wie Erick es einst bei mir getan hatte, und hielt sie einfach nur fest.
Dann schob ich sie behutsam von mir, kniete mich neben sie und sah ihr in die Augen.
»Ich muss mit Ottul reden«, sagte ich. »Wenn du möchtest, kannst du bleiben, oder Marielle kann dich in meine Kabine bringen.« Was dem entsprach, was ich eigentlich vorgehabt hatte. Gwenn sollte bei Heddan bleiben. Ich hatte nicht vorgehabt, ihr eine Wahl zu lassen.
Einen Augenblick lang beobachtete sie mich eindringlich. »Es war nicht Ottuls Schuld«, sagte sie schließlich.
Ich schaute fragend drein. »Was meinst du?«
»Es war nicht ihre Schuld. Ich habe das andere Schiff und die Chorl auf dem Deck gehört. Da dachte ich, dass ich vielleichthelfen könnte, aber Ihr hattet mir aufgetragen, Ottul zu bewachen, deshalb habe ich sie mitgenommen …«
Ich blickte zu Ottul. Ihr blaues Gesicht wirkte teilnahmslos. Ihre Augen waren auf mich gerichtet und beobachteten mich. Diesmal sah ich keinen Hochmut und keinen Trotz. Diesmal haftete ihren Zügen etwas anderes an, das ich nicht erkannte.
Ich wandte mich wieder Gwenn zu. »Schon gut. Ich will ihr nichts tun. Wir werden nur reden.«
Erleichterung spiegelte sich auf ihrem Gesicht. »Dann bleibe ich. Ich kann helfen.«
Trotz allem zögerte ich; dann stand ich auf. »Gut«, sagte ich und wandte mich Ottul zu. Marielle zog Gwenn zu sich, während Keven und Avrell, die gebückt draußen auf dem Gang warteten, nun eintraten und zu einer Seite wichen. Die Unterkunft war zu beengt für sechs Personen. Währendessen löste
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