Die Kaempferin
haben die Bewohner der Elendsviertel hungern lassen?«
»Man hat keine Gemeinschaftsküchen oder -lagerhäuser eingerichtet wie Ihr, nein. In fast jedem Viertel der Stadt sind Unruhen ausgebrochen, abgesehen vom Händlerviertel. Die aufgebrachte Menge wurde vom Protektorat und der gewöhnlichen Garde wieder zur Ordnung gebracht. Unsanft, mit Gewalt. Es gab eine große Zahl von Toten in der Gosse. Anschließend brachen Krankheiten aus.«
Mit wesentlich leiserer Stimme fügte er hinzu: »Wärt nicht Ihr die Regentin gewesen, wäre in Amenkor wohl dasselbe geschehen. Es hat sich früher schon so zugetragen.«
Ich wandte mich von ihm ab und spürte, wie Wut in mir schwelte, obwohl es längst zu spät war, etwas dagegen zu unternehmen. Die Toten waren tot. Aber ich wusste, dass Avrell recht hatte. Hätte ich die Händler nicht gezwungen, ihre Mittel zusammenzulegen, hätte ich nicht ihnen selbst mit dem Hungertod gedroht, hätte ich nicht Exempel an einigen Halunken statuiert, die Güter horteten …
Die Kutsche erreichte den Kai und fuhr um die Enden der Docks herum. Ich erspähte die Trotzig . Daneben war eines der umgebauten Chorl-Schiffe vertäut. Die beiden anderen Schiffe der Chorl lagen weiter draußen im Hafen vor Anker.
Als wir daran vorbeifuhren, sah ich Kapitän Bullick, der auf dem Deck stand und die Instandsetzungsarbeiten an der Takelage, den Masten und den Relings beaufsichtigte, die während des Chorl-Angriffs Schaden erlitten hatten. Ein halbes Dutzend Männer kauerte auf Planken, die über die Seite herabgesenktworden waren, und klatschte frische Farbe auf den Rumpf.
Keven, der neben mir saß und sich bisher vollkommen schweigsam verhalten hatte, lehnte sich vor. »Er hatte ihnen Landurlaub gegeben, sobald Fürst March uns die Stadt betreten ließ. Sieht so aus, als wäre es damit vorbei. William ist mit eigenen Angelegenheiten beschäftigt, aber es ist ihm gelungen, Kapitän Bullick alles zu beschaffen, was er für die Instandsetzungen brauchte.«
Ich nickte. Seit dem Treffen mit dem Rat hatte ich William kaum gesehen. Er kümmerte sich um Handelsbelange und baute sich für die Zukunft eigene Verbindungen in der Stadt auf. Und mich hatte Westen auf Trab gehalten, wenn ich nicht gerade mit Marielle, Heddan, Gwenn und mittlerweile auch Ottul übte. Der Chorl-Begabten war es gelungen, Marielle und den anderen beizubringen, Verbindungen einzugehen und Kraft auszutauschen, wie es die Chorl taten. Nun arbeitete sie mit ihnen daran, wie man Feuer heraufbeschwor. Allerdings konnte sie ihnen nicht zeigen, wie man es lenkte, denn sie hatte sich ihren fünften Goldring noch nicht verdient gehabt und wusste daher nicht, wie man Feuer beherrschte, nur, wie man es entstehen lassen konnte.
Die Kutsche verlangsamte die Fahrt, und ich ließ den Blick über das Dock vor uns schweifen. Ein Schiff war daran verzurrt, etwas kleiner als die Kampfschiffe der Chorl. Es besaß nur einen Mast und ein einziges Segel und war offensichtlich für die Verwendung im Hafen gedacht. Die Farben Casaris – weiß und graublau mit einem Tupfen gelb – wehten an der Spitze des Mastes. Das Segel war noch nicht gesetzt worden. Ein Dutzend Männer, alle mit Hosen und weißen Hemden bekleidet, die als Wappen einen geflügelten Reiher zeigten, bereiteten das Boot für die Abfahrt vor.
Fürstin Casari wartete bereits am Dock, begleitet von einem Tross aus zehn Gardisten.
Und von Fürst Sorrenti.
Ich erstarrte und spürte, dass sich auch Keven versteifte. Wir tauschten einen Blick.
»Sieht so aus, als hätten wir Gesellschaft«, meinte er. »Ich bin froh, dass ich ein paar zusätzliche Gardisten mitgenommen habe.«
Avrell beugte sich vor, um aus dem Fenster zu spähen, als die Kutsche zum Stehen kam. Die Falten auf seiner Stirn vertieften sich, als er Sorrenti erblickte. »Das wird keine schlichte Rundfahrt durch den Hafen.«
Wir traten aus der Kutsche in das nachmittägliche Sonnenlicht. Die Gardisten, die Keven ausgewählt hatte und die uns in einer zweiten Kutsche gefolgt waren, ordneten sich rings um uns an. Sorrenti sprach gerade mit Fürstin Casari, als wir uns näherten. Ihre Miene war nachdenklich. Doch sobald wir in Hörweite gelangten, verstummte Sorrenti, und auf Casaris Gesicht erschien ein schmales Lächeln.
»Regentin«, sagte sie. »Ich bin froh, dass Ihr Euch uns anschließen konntet. Fürst Sorrenti und ich hatten das Gefühl, dass Eure Begrüßung in Venitte zu wünschen übrig ließ, deshalb möchten wir
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