Die Kaempferin
schmutzige Lumpen auf dem Boden.
Zorn stieg mir in die Kehle, jäh und säuerlich, doch ich schenkte ihm keine Beachtung und zeigte keine Regung.
Ich spürte, wie die selbstgefällige Zufriedenheit der Chorl-Begabten ins Wanken geriet. Sie straffte den Rücken mit demselben Hochmut, hinter dem sie sich zuvor schon versteckt hatte, und hob den Kopf. Ich konnte mich erinnern, dass die Ochea eine ähnliche Überheblichkeit an den Tag gelegt hatte, nur war sie bei ihr ein Teil ihrer Persönlichkeit gewesen. Die Chorl-Begabte hingegen trug ihren Hochmut wie einen Schild, um sich dahinter zu verbergen. Als ich sie im Würgegriff gehalten hatte, hatte ich einen kurzen Blick hinter diesen Schild werfen können und dabei erkannt, dass sie sich gar nicht so sehr von mir unterschied – genauer gesagt von dem, was ich am Siel gewesen war, bevor Erick mich gefunden hatte.
»Wie ich sehe, warst du fleißig«, sagte ich mit ruhiger Stimme, schloss die Tür hinter mir und spürte, wie die Chorl sich versteifte und den Fluss schützend um sich zog.
Ich ging zu einem der Fenster und blickte auf das nordöstliche Amenkor hinaus, über die drei Mauern zur Unterstadt, zum Fluss und zum Siel. Dabei kehrte ich der Chorl den Rücken zu. Ich spürte, wie sie zögerte. Die Wirbel rings um sie herum kräuselten sich verunsichert.
Von der Stelle aus, an der ich stand, war nur ein kleiner Teildes Hafens zu sehen, im nördlichen Bereich, wo das Gelände zu steil und felsig war, als dass man dort einen Kai hätte erbauen können. Ich aber wollte, dass sie jenen Bereich der Stadt sehen konnte, der von den Chorl kaum beschädigt worden war. Sie sollte sehen, dass ihr Volk uns nicht so hart getroffen hatte, wie sie vielleicht glaubte.
Ich legte eine der Orangen auf den Rand der Fensteröffnung; die andere behielt ich in der Hand. Dann drehte ich mich um.
»Mein Name ist Varis«, stellte ich mich vor und beobachtete die Chorl-Begabte eingehend. Ich erwartete nicht, dass sie mich verstand – was auch nicht der Fall war, denn sie runzelte verwirrt die Stirn. Vielleicht beunruhigte sie auch mein Tonfall. »Ich bin die Regentin von Amenkor.« Ich deutete auf das Fenster und die Stadt dahinter.
Die Chorl schnaubte verächtlich, doch in ihren Augen spiegelte sich Unsicherheit. Es waren dunkle Augen, fast so schwarz wie ihr Haar. Mir fiel ein, was ich vor langer Zeit am Siel gelernt hatte: Die Augen sind alles.
Der Blick der Chorl wanderte zu der Orange in meiner Hand.
»Varis«, wiederholte ich und hielt die Frucht in die Höhe. »Und das ist eine Orange.«
Sie starrte auf die ihr dargebotene Frucht und streckte das Kinn vor. Ihre Nasenflügel blähten sich. Ich sah, dass sie zitterte, und diesmal nicht vor Wut.
Mit einer flinken Bewegung bohrte ich den Daumen in die zähe Schale der Orange. Augenblicklich strömte ihr Geruch in den Fluss, während mir der klebrige Saft über die Finger rann. Geschickt schälte ich die Frucht. Der Duft wurde intensiver und ließ vor meinem geistigen Auge Bilder von Erick erscheinen – Bilder, die ich vergessen geglaubt hatte: Erick am Siel, wie er mir den ersten Sack mit Lebensmitteln reichte und mir mit sanfter Stimme sagte, dass ich mehr davon bekäme, wenn ich ihm half, in den Elendsvierteln Opfer aufzuspüren; Erick, wie er mich aufverwahrlosten Hinterhöfen im Kampf ausbildete und Befehle brüllte oder in Gelächter ausbrach, wenn ich etwas Unerwartetes tat und ihn damit überraschte. Am Siel waren Gerüche alles gewesen, und Erick hatte ich stets mit Orangen in Verbindung gebracht. Ein angenehmer Duft, süß und kräftig.
Die Orangenschalen fielen zu Boden. Als ich mit dem Schälen fertig war, drückte ich den Daumen in die Mitte der Frucht, zog sie auseinander, riss eine Spalte ab und aß sie. Die Kerne spuckte ich in meine Hand und legte sie auf den Fenstersims.
Dann schaute ich wieder zu der Chorl-Begabten. Sie beobachtete mich mit fragender Miene. Den Kopf hielt sie noch immer hoch erhoben, den geschundenen Hals vorgestreckt. Ihr Atem ging nun tiefer, und ihr Blick war auf die Frucht gerichtet. Zwei Wochen lang hatte sie nur Brot, Käse und ein paar Bissen Fleisch bekommen. Doch selbst wenn sie nicht wusste, was eine Orange war – der Geruch dieser Frucht war ihr mit Sicherheit vertraut.
Ich brach ein weiteres Stück aus der Orange. Der Mund der Chorl zuckte. Während ich aß, schritt ich vor den beiden Fenstern auf und ab – gemächlich und kein bisschen bedrohlich. »Ich weiß, weshalb die
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