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Die Kaempferin

Die Kaempferin

Titel: Die Kaempferin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Palmatier
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im vergangenen Winter des widergesetzlichen Hortens von Lebensmitteln überführt und auf dem Marktplatz von den Bewohnern Amenkors gesteinigt worden, nachdem ich ihn verurteilt hatte. Ein zweiter Händler, Regin, hatte sich widerwillig der Beschlagnahme sämtlicher Vorräte in Amenkor gebeugt – eine von mir befohlene Maßnahme, um die Bürger der Stadt vor dem Hungertod zu retten. Und der dritte Händler schließlich …
    Ich ließ den Blick suchend durch das düstere Innere der einst vor Leben strotzenden Gildenhalle schweifen und entdeckte William an einem Tisch in der gegenüberliegenden Ecke. Mein Herz zog sich zusammen wie jedes Mal, wenn ich sein zerzaustes braunes Haar sah und sein weißes Lehrlingshemd, das in dem Licht schimmerte, das auch die Schriftstücke beleuchtete, an denen er arbeitete. Seit ich Zeugin geworden war, wie entschlossen William sich den angreifenden Chorl widersetzt hatte, hatte ich ihn fast täglich gesehen, entweder im Palast, wenn er mir von den Aufräumarbeiten in Amenkor oder vom Zustand der schwindenden Vorräte berichtete, oder in der Stadt an einer Baustelle, wo er die Aufräumarbeiten und die Beseitigung der Leichen von den Straßen beaufsichtigte.
    Diesmal aber war ich nicht wegen eines Berichts hier.
    William hörte nicht, wie wir uns näherten, bis ich vor dem Tisch stehen blieb. Erschrocken schaute er auf. Sogleich erhob er sich, wobei sein Stuhl rumpelnd nach hinten rutschte.
    »Varis! Ich meine … Regentin«, sagte er, wobei sein Blick zu den Wachen huschte, die in einiger Entfernung Stellung bezogen hatten. »Ich wusste nicht, dass du kommst.«
    »Ich habe mich ja auch nicht angekündigt.«
    »Ich verstehe.« Verwirrt runzelte er die Stirn, als er zu ergründen versuchte, ob es sich um einen formellen Besuch oder einen Freundschaftsbesuch handelte. Er legte sich auf Ersteresfest, starrte mich an und fragte steif: »Was kann ich für Euch tun?«
    Ich seufzte. »Ich bin hier, um mit dir über Borund zu reden.«
    »Ah.« Seine Hände sanken auf den Tisch, und er blickte zu Boden.
    »William.« Als er nicht aufschaute, ging ich um das behelfsmäßige Schreibpult herum, fasste ihn an den Schultern und zwang ihn, mich anzusehen. »William, ich muss wissen, was mit ihm geschieht.«
    »Du weißt, was ihm widerfahren ist«, sagte William mit zorniger Stimme und befreite sich aus meinem Griff. »Jeder weiß es! Er ist am Kai davongerannt. Als die Schiffe der Chorl die Docks rammten und wir anderen gegen sie losstürmten, hat Borund uns den Rücken zugekehrt und ist geflüchtet. Er hat uns zum Sterben zurückgelassen. Er hat mich zum Sterben zurückgelassen!«
    Die Verbitterung in Williams schroffen Worten hallte bis in den letzten Winkel des Raumes. Einen Herzschlag lang begegnete er meinem Blick, lange genug, dass ich den Schmerz in seinen Augen erkennen konnte – einen Schmerz, den er in den vergangenen Wochen verborgen hatte, sogar vor mir.
    Dann wirbelte er herum, drehte mir den Rücken zu und ging zu einer Nische mit ein paar Stühlen und einem kleinen Tisch, auf dem eine Pflanze stand.
    Ich zögerte und bemerkte Kevens fragenden Blick, schüttelte jedoch den Kopf und folgte William.
    »Borund hatte nicht vor, davonzurennen«, sagte ich zu Williams Rücken und ließ meinen eigenen Zorn in diese Worte einfließen.
    »Woher weißt du das? Du warst nicht dabei.«
    »Doch, war ich.«
    William spannte die Schultern. »Wie meinst du das?«
    »Ich war dabei – in dem Weißen Feuer, das ich in BorundsInneres gepflanzt habe. Ich habe durch seine Augen beobachtet, wie die Chorl-Schiffe gegen den Kai gefahren sind. Ich habe gesehen, wie er dich hinter die Barrikade geschleift hat, als der Aufprall erfolgte. Ich habe bezeugt, wie die Chorl aus den Schiffen strömten und über die Docks ausschwärmten. Ich habe gesehen, wie du in ihre Ränge gestürmt bist und wie Borund sich umdrehte und floh. Ich habe alles gesehen. Und ich konnte alles fühlen, was Borund gefühlt hat.«
    Williams Augen weiteten sich. »Wirklich? Aber warum ist er dann nicht geblieben, um zu kämpfen? Warum hast du ihn nicht dazu gebracht, dass er bleibt und kämpft?«
    »Weil …«, setzte ich an, verstummte dann aber. Ich hätte durch das Feuer tatsächlich die Herrschaft über seinen Körper übernehmen und ihn zwingen können, sich den Chorl zu stellen. Ich wollte es auch tun; das Gefühl des Verrats, als Borund die Flucht ergriff, hatte mir wehgetan. Aber ich konnte nicht bleiben. Ich wurde im Palast

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