Die Kaempferin
Chorl nach Amenkor gekommen sind«, sagte ich kauend, obwohl ich wusste, dass sie mich nicht verstehen konnte. Dabei versuchte ich, den Hass aus meiner Stimme zu verbannen, der immer noch heiß in mir aufwallte, wenn ich an den Angriff der Chorl auf Amenkor dachte. Leicht fiel es mir nicht. »Die Ochea wollte den Thron«, fuhr ich fort, »oder vielmehr das Feuer, das sie im Thron wähnte. Doch das Feuer kam nicht von dort. Es kam aus dem Westen.« Ich hielt inne und blickte durchs Fenster auf die Stadt. »Weißt du, woher genau das Feuer kam? Oder was es bewirken sollte?«
Ich drehte mich um, musterte das Gesicht der Chorl und seufzte. »Nein, sicher nicht. Wenn die Ochea es schon nicht wusste, wie sollst du es dann wissen? Aber es ist eine interessante Frage. Ich hatte noch nicht viel Zeit, darüber nachzudenken.Am Siel war es mir egal. Da hatte ich keinen Grund, mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Zu wissen, woher das Feuer stammte, konnte mir nicht beim Überleben helfen. Und nachdem ich Regentin geworden war, gab es dringlichere Angelegenheiten. Aber jetzt …«
Ich verstummte, biss erneut in eine Orangenspalte und zuckte mit den Schultern. »Es spielt keine Rolle.«
Ich schaute der Chorl-Begabten in die Augen und beobachtete, wie sie sich unter meinem Blick versteifte. Mittlerweile versuchte ich nicht mehr, meinen Zorn zu verhehlen. »Allerdings weißt du Dinge, die ich erfahren muss. Zum Beispiel, wie man die Kraft von Begabten vereint, sie verbindet. Und ich wette, du weißt auch etwas darüber, was Erick angetan wurde. Deshalb …« Ich löste eine weitere Spalte vom Rest der Frucht in meiner Hand und hielt sie der Chorl entgegen. Mühsam verbannte ich die Wut aus meiner Stimme. »Nimm ein Stück.«
Sie zögerte, machte schmale Augen. Doch der Duft der Orange erwies sich als zu verlockend. Langsam kam sie näher und hob vorsichtig eine Hand zu der Frucht.
Mit einer flinken Bewegung entriss sie mir die Spalte, wich zurück und schaute finster drein. Einen Augenblick dachte ich, sie würde nicht essen, denn sie starrte mich nur trotzig an.
Dann knurrte vernehmlich ihr Magen.
Sie ließ die Maskerade fallen und steckte sich die Orange in den Mund. Saft tropfte ihr übers Kinn.
Der Anblick rief einen seltsamen, verstörenden Schmerz in meiner Brust hervor. So wie die Chorl musste auch ich mich verhalten haben, als Erick mir zum ersten Mal Essen gebracht hatte. Ausgehungert, verzweifelt, regelrecht verwildert. Ich erinnerte mich noch, wie dankbar ich mich anfangs gefühlt hatte und wie beschämt ich später gewesen war, wenngleich es keinen Grund gegeben hatte, sich zu schämen.
Mein Zorn auf die Chorl, auf die Ochea und darauf, was sie Erick und der Stadt angetan hatten, geriet ins Wanken. DieseFrau war für die schrecklichen Ereignisse nicht verantwortlich. Sie war ebenso ein Opfer der Umstände geworden wie ich damals am Siel. Bis Erick mich fand.
Ich beobachtete, wie sie die Orangenspalte verschlang und sich zum Fenster bewegte, um sich die zweite Frucht zu holen, die ich dort hingelegt hatte. Als sie die Orange zu schälen begann, ging ich zur Tür. Kaum streckte ich die Hand aus, um sie zu öffnen, sagte sie:
»Ottul.«
Ich hielt inne, drehte mich zu ihr.
Die Chorl-Begabte stand aufrecht zwischen den beiden Fenstern und hielt die geschälte Orange in einer Hand. Kurz begegnete sie mit funkelnden Augen meinem Blick, dann wiederholte sie: »Ottul.«
Sie zauderte, senkte verunsichert den Kopf.
Ich öffnete die Tür, erspähte aus dem Augenwinkel Eryn, Trielle und die Gardisten und trat hinaus. Eryn entfernte den Schutzbann lange genug, um mich hindurchzulassen.
»Und?«, fragte Eryn.
Noch immer aufgewühlt und meinen eigenen Empfindungen nicht sicher, antwortete ich: »Ich glaube, sie heißt Ottul.«
Gefolgt von Keven und meiner Eskorte aus Gardisten betrat ich die Halle der Händlergilde. Ich spürte, wie mich ein Schauder durchlief. Die Halle war verwaist. Mattes Sonnenlicht fiel durch die schmalen Fenster auf den Marmorboden. Vom Gebälk rieselte Staub. Das ganze Gebäude roch nach Alter, Trockenheit und Tod.
Der Händler Alendor hatte die Gilde zerstört, als er versucht hatte, mit seiner sogenannten Genossenschaft den Handel an sich zu reißen – ein Versuch, den zu vereiteln ich mitgeholfen hatte. Allerdings war uns dies erst gelungen, nachdem Alendorund seine Verbündeten bereits einen beträchtlichen Teil der Händlerriege gemeuchelt hatten. Einer der drei verbliebenen Händler war
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