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Die Kaempferin

Die Kaempferin

Titel: Die Kaempferin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Palmatier
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vielleicht sogar für mehr. Dann hätte er etwas anderes zu tun, als zu trinken. Es würde ihm die Gelegenheit verschaffen, Wiedergutmachung zu leisten.«
    Ich starrte William an, beugte mich vor und küsste ihn. Es war ein flüchtiger Kuss, der mich ebenso sehr überraschte wie ihn.
    Bevor einer von uns sich etwas anmerken lassen konnte, drehte ich mich um. »Komm mit.«
    William folgte mir zu Keven. Die anderen Gardisten nahmen Haltung an, als ich mich näherte.
    »Wohin gehen wir?«, fragte William.
    »Zu Borunds Haus.«
    Ich spürte, wie William stockte. Als ich mich umdrehte, strahlte er Kälte aus.
    Unter meinem Blick trat er verlegen von einem Bein aufs andere. »Er ist weggerannt, Varis. Er hat mich zum Sterben zurückgelassen. Ich kann ihm nicht verzeihen. Noch nicht. Nicht so ohne Weiteres.«
    Unwillkürlich kniff ich den Mund zusammen, nickte jedoch.
    Dann drehte ich mich um und verließ die Händlergilde, gefolgt von Keven und meiner Eskorte.

    »Meister Borund ist bereit, Euch zu empfangen, Regentin.«
    Gerrold, Borunds Hausdiener, sprach die Worte förmlich aus, doch in seinen Augen stand ein Leuchten. Keven und der Eskorte aus Gardisten, die mich umgab, schenkte er keine Beachtung. Er deutete auf den Hauptgang und führte uns durch einen Flur zu Borunds Arbeitszimmer.
    Während ich Gerrold folgte, atmete ich die Gerüche von Borunds Haus ein – poliertes Holz, staubiges Pergament, backendes Brot. Lizbeth und Gart, die beiden anderen Bediensteten, die Borund im Haus beschäftigte, sah ich nicht, doch allein die Räume und Flure, an denen wir vorbeigingen, beschworen viele bittersüße Erinnerungen herauf. Ich hatte das Haus seit Monaten nicht mehr betreten; es fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Allerdings hatte ich mithilfe des Thrones meinen Geist auf der Suche nach den gestohlenen Lebensmitteln hierhergesandt. Damals hatte ich eine Aufgabe gehabtund mir nicht gestattet, mich von Erinnerungen ablenken zu lassen.
    Nun aber setzten sie ungebeten ein. Bilder von Lizbeth bestürmten mich, wie sie mich bei meinem ersten richtigen Bad unter Wasser tauchte. Bilder von William, der über etwas lachte, das Borund gesagt hatte. Bilder von Borund, der grinste und mir einen verstohlenen Blick zuwarf, um zu sehen, ob ich ebenfalls lachte.
    Schließlich blieb Gerrold vor Borunds Arbeitszimmer stehen. Bevor er die Tür öffnete und mich hineinließ, sagte er: »Bitte, Regentin, tut etwas, um ihm zu helfen.«
    Damit trat er beiseite, ging davon und gab mir keine Gelegenheit, etwas zu erwidern. Ebenso wenig kündigte er Borund meine Ankunft an.
    Ich blickte durch die offene Tür, roch die geistigen Getränke und die stickige Luft im Zimmer und verzog das Gesicht. Der Gestank erinnerte mich an die Tiefen der Elendsviertel jenseits des Siels.
    Ohne mich zu Keven umzudrehen, befahl ich: »Wartet hier.« Dann trat ich ein und zog die Tür hinter mir zu.
    Die Fensterläden waren geschlossen. Um die Ränder zeichnete sich der goldene Schimmer des Sonnenlichts ab. In den Schatten erkannte ich das große Schreibpult, auf dessen einer Seite Bücher verstreut lagen. Vereinzelt lugten Pergamentbogen daraus hervor. Auf verschiedenen Regalen und Tischen befanden sich weitere Bücher, ein paar Pflanzen sowie Kunstgegenstände, die aus Orten entlang der Küste von Frigea stammten: eine aufwendig geschnitzte Pfeife von den südlichen Inseln, versteinerte Blätter und Muscheln, ein Kopfschmuck aus Federn und Perlen aus Kandish jenseits der östlichen Berge, ein Fläschchen mit blauem Wasser aus den im hohen Norden gelegenen Gefilden Taniecias. Ein großer Läufer bedeckte den Boden vor dem Kamin, und über dem Sims hing ein gewaltiges Schwert.
    Zwischen den vielen Büchern und Kunstgegenständen stachen leere Weinflaschen hervor. Einige lagen umgekippt da, andere enthielten noch etwas Flüssigkeit, doch dem schalen Geruch im Zimmer nach zu urteilen, waren die Reste längst verdorben.
    Borund saß hinter dem Schreibpult und umklammerte mit einer Hand den Stiel eines Glases. In Griffweite stand eine weitere, bereits halb leere Flasche. Mit gerunzelter Stirn und geröteten, zornigen Zügen starrte er mich über den Tisch hinweg an. Er hatte sich seit einiger Zeit nicht rasiert, und seine Augen waren blutunterlaufen und verquollen.
    »Was willst du?«, fragte er mit heiserer Stimme.
    Ich blickte aus zusammengekniffenen Augen in die Düsternis des Raumes und verschränkte die Arme vor der Brust.
    »Was willst du?«, stieß Borund erneut

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