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Die Kaempferin

Die Kaempferin

Titel: Die Kaempferin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Palmatier
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war fein und stammte aus dem kandischen Kaiserreich jenseits der Berge. Ottul fuhr sich mit dem Tuch über Hände und Arme. Mittlerweile trug sie Kleidung aus Amenkor, da Marielle sie davon überzeugt hatte, ihr schmutziges grünes Kleid abzulegen,in dem wir sie bewusstlos unter einem Berg eingestürzter Steine gefunden hatten. Doch ihr Kleid war rau, nicht so fein wie das Kopftuch, und von hellbrauner Farbe, die ihre blaustichige Haut betonte. Der Kragen reichte so tief, dass man den Rand einer Tätowierung dicht unterhalb des Schlüsselbeins erkennen konnte, was anfangs eine Überraschung gewesen war: Ich hatte nicht gewusst, dass die Frauen der Chorl tätowiert waren, wenngleich ich mich zu erinnern glaubte, auch bei der Ochea eine Tätowierung gesehen zu haben. Die Frauen der Chorl schienen es vorzuziehen, ihre Tätowierungen zu verbergen, während die Männer sie offen sichtbar an den Armen und im Gesicht trugen.
    Als Ottul das Tuch zu ihrem Gesicht führte und die Wange daran rieb, streckte Marielle langsam die Hand aus und berührte die vier goldenen Ringe in Ottuls Ohren.
    Ottul zuckte zurück. Zischender Atem drang zwischen ihren Zähnen hervor, und jäh schnellte im Fluss eine Barriere zwischen ihr und Marielle hoch. Doch als Marielle keine Regung zeigte, hielt Ottul inne.
    »Was sind das für Ringe?«, erkundigte sich Marielle. »Wofür stehen sie?«
    Ottul legte die Stirn in Falten. Der Schild um sie waberte; dann ließ sie ihn sinken, trat vor und hob eine Hand an Marielles Ohr. »Du … nicht.«
    Marielle lächelte. »Nein, ich habe keine.«
    Ottuls Stirnrunzeln vertiefte sich. Dann berührte sie den ersten Ring in ihrem linken Ohr. »Ona«, sagte sie und begann, den Fluss um sich zusammenzuziehen, allerdings weder als Schild noch zu einem Angriff. Stattdessen schien sie müßig mit dem Fluss zu spielen, seine Strömungen umherwirbeln zu lassen, ihn bald hierhin, bald dorthin zu schieben, ihn zu spannen und wieder zu lösen.
    Abermals deutete sie auf den ersten Goldring und wiederholte: »Ona.«
    Der erste Ring zeigt an, dass sie den Fluss verwenden kann – die Sicht , sagte ich durch das Feuer. Dass sie eine Begabte ist.
    Marielle tauchte tiefer in den Fluss, begann ihrerseits, ihn zu beeinflussen und sagte gleichzeitig: »Ona.«
    Ottul lächelte, wenn auch ein wenig verkniffen. Ein Schwall Traurigkeit strömte in den Fluss, eine Gefühlsregung, so stark und durchdringend wie der Geruch einer Zwiebel. »Ona.« Ihre Finger berührten den zweiten Ring. »Ket.«
    Ottul zog die Strömungen des Flusses zu einem Schild zusammen und verwob die Fäden zu einem dichten Geflecht.
    Marielle tat es ihr gleich. »Ket.«
    Ottul nickte und berührte den dritten Ring. »Tora.«
    Sie löste den Schild und blies ein klein wenig vom Fluss in die ausgestreckte Hand, wodurch eine Zusammensetzung entstand, die keine der Begabten im Palast je zuvor gesehen hatte.
    Ich schon.
    Kurz bevor Ottul die Fäden entzündete, sog ich scharf die Luft ein. Ein paar Zoll über ihrer Handfläche loderte Feuer auf und schwebte dort. Doch es war nicht wie das Feuer, das sich über das Deck der Jungfer geschlängelt und so viele Mitglieder der Besatzung getötet hatte. Dies war ein schlichtes Feuer. Ottul konnte es heraufbeschwören, es wahrscheinlich auch auf Ziele schleudern, doch sie konnte es nicht zwingen, ihrem Willen zu gehorchen. Ich spürte, welche Anstrengung es sie allein schon kostete, die Flammen in der Hand zu halten. Schweiß perlte auf ihrer Stirn, und ihre ganze Aufmerksamkeit war auf ihre Hand und die Flammen gerichtet.
    Ich kann kein Feuer machen , dachte Marielle, und ein Anflug von Besorgnis durchzuckte sie.
    Du könntest , erwiderte ich, wenn ich es dir zeige und wenn wir es üben. Aber vorerst …
    Ich huschte durch das Feuer und übernahm die Herrschaft über den Fluss. Marielle spürte meine Absicht, streckte den Arm aus und drehte die Handfläche nach oben.
    Ich zog den Fluss dicht an mich und spann die Fäden, wie Ottul es getan hatte, nur enger und straffer. Dann entzündete ich sie.
    Marielle zuckte zusammen, als das Feuer in ihrer Hand erblühte. Mit zittriger Stimme sagte sie: »Tora.«
    Ich ließ das Feuer verlöschen. Ottul tat dasselbe.
    »Und der letzte Ring?«, fragte Marielle.
    Doch Ottul wandte sich ab und ging zu den Fenstern.
    »Was kommt als Nächstes, Ottul?«, bohrte Marielle nach. »Ona, ket, tora …?«
    Ohne sich umzudrehen, sagte Ottul: »Qal.« Sie zögerte, ehe sie verbittert hinzufügte:

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